ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
und einer mittelgroßen Birne. Das gleiche Essen, das er sich jeden Tag mitbrachte und immer hier im Büro verzehrte. Er achtete sorgfältig auf seine Ernährung und darauf, dass sie auch wirklich ausgewogen war. Seine vierte Tasse Kaffee kühlte langsam auf dem Schreibtisch ab. Er gestattete sich zwölf Tassen am Tag. Das war zwar zu viel, aber er wusste auch, dass er mit weniger nicht richtig funktionierte. Außerdem rauchte er zu viel. Zwanzig Zigaretten am Tag – er machte morgens eine frische Packung Kool Lights auf und rauchte die letzte davon, kurz bevor er zu Bett ging. Er wollte damit aufhören, aber jetzt noch nicht. Er konnte ja nicht auf alles verzichten. Aber vielleicht in ein paar Jahren, wenn er sich sicher war, dass er sich völlig unter Kontrolle hatte, dann konnte er auch mit dem Rauchen aufhören.
Er beobachtete Lisl und wunderte sich wieder über die Art Mann, mit der sie aus eigenem Antrieb so viel ihrer wertvollen Zeit verbrachte. Da verschwendete eine der intelligentesten Frauen, der er je begegnet war, ihre Mittagspause damit, sich mit einem gewöhnlichen Arbeiter abzugeben – und dazu noch einem mit einem Pferdeschwanz. Eine der unpassendsten Paarungen, die ihm je untergekommen war. Wo gab es da die Gemeinsamkeiten? Was konnte so ein Mann schon zu sagen haben, was einen Verstand wie den ihren fesseln könnte?
Es irritierte ihn. Was gab es da zwischen ihnen zu bereden, Tag für Tag, Woche um Woche? Was nur?
Das Unbefriedigendste an dieser Frage war natürlich, dass er die Antwort nie erfahren würde. Dazu müsste er sie entweder belauschen oder er müsste sich zu ihnen gesellen, oder er müsste Lisl direkt fragen, worüber sie miteinander redeten. Nichts davon konnte er tun. Das kam einfach nicht infrage.
Ein weiteres Rätsel: Warum um Himmels willen verschwendete er seine Zeit mit so belanglosen Unwägbarkeiten? Was spielte es schon für eine Rolle, worüber Lisl und ihr Gärtnerfreund sich in der Mittagspause unterhielten? Er hatte Besseres zu tun.
Und doch … Sie wirkten zusammen so entspannt. Ev würde sich auch gern zusammen mit anderen Menschen entspannen. Gar nicht mal unbedingt mit mehreren – er würde sich auch mit einer Person zufriedengeben, mit der er zusammensitzen und völlig gelöst die Geheimnisse des Universums und die Widersprüchlichkeiten des täglichen Lebens diskutieren konnte.
Jemand wie Lisl. So sanft, so schön. Vielleicht war sie nicht im allgemeingültigen modernen Sinn schön, aber ihr goldblondes Haar war dicht und seidenglatt – wenn sie es doch nur offen tragen würde und nicht in diesem französischen Zopf, den sie bevorzugte. Und ihr Lächeln war so strahlend und freundlich. Sie hatte kleine Brüste und ein paar Pfund zu viel auf den Rippen, aber für Ev bedeuteten Äußerlichkeiten nichts. Die äußere Erscheinung war unwichtig. Die innere Frau war alles, was zählte. Und Ev wusste, dass sich unter Lisls teigiger, pummeliger Schale eine wundervolle, brillante Frau verbarg, lieb, ehrlich, leidenschaftlich.
Sah das der Arbeiter auch in ihr, wenn er sie ansah? Everett konnte sich nicht vorstellen, dass der andere Mann Lisl wegen ihres Verstandes schätzte. Er kannte ihn natürlich nicht, aber es schien, als besäße der Gärtner weder die moralischen Standards noch die Charakterfestigkeit, um sich um den Verstand einer Frau zu bemühen.
Was wollte er also von ihr?
Hatten sie ein sexuelles Verhältnis? Ging es darum? Fleischeslust? Nun, dagegen war nichts einzuwenden, solange Lisls Zukunft dadurch nicht beeinträchtigt wurde. Es wäre eine Tragödie, wenn sie auf ihre Karriere verzichten würde. Ein brillanter Verstand wie der ihre passte nicht zu Haushalt und Windeln wechseln.
Und was ging das alles Everett Sanders an?
Weil ich gern da wäre, wo sie sind.
Was wäre das herrlich. Wenn sie seine Freundin wäre, seine Vertraute. Überhaupt jemanden zu haben, mit dem man ein paar Stunden verbringen konnte. Everett wusste und leugnete vor sich auch gar nicht, dass er einsam war. Und auch wenn die Einsamkeit weit besser war als andere Probleme, mit denen er in der Vergangenheit zu kämpfen hatte, so war sie zuzeiten doch eine schreckliche Last, ein fortwährend nagender Schmerz in seinem Innern.
Mittagessen mit Lisl, belangloses Geplapper mit Lisl. Es war mehr, als er sich erhoffen konnte.
Mehr, als er sich erhoffen würde.
Dieses ganze Gedankenspiel war lächerlich. Selbst wenn es denkbar, selbst wenn es möglich wäre, dürfte er das nicht
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