ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
zulassen. Er konnte es nicht riskieren, sich auf eine emotionale Bindung einzulassen. Gefühle waren zu wenig vorhersehbar, zu schwer zu kontrollieren. Und kein Aspekt seines Lebens durfte seiner Kontrolle entgleiten. Denn wenn auch nur ein Teil sich abspaltete, könnten andere Teile davon in Mitleidenschaft gezogen werden und das ebenfalls tun. Und dann könnte sein ganzes Leben aus dem stählernen Korsett ausbrechen, in das er es eingepfercht hatte.
Sollte Lisl Whitman sich doch mit ihrem Freund oder Liebhaber vergnügen. Es ging ihn nichts an. Es war ihr Leben und er hatte nicht das Recht zu denken, dass er es kontrollieren sollte. Es erforderte schon all seine Kraft, sein eigenes Leben unter Kontrolle zu halten.
Außerdem hätte er jetzt lesen sollen, statt hier am Fenster seine Zeit zu vertrödeln. Vor allem an einem Mittwoch. Heute Abend war die wöchentliche Fachbesprechung, also musste er seinen täglichen Teil des Romans der Woche – Daddy von Luop Durand – bis dahin gelesen haben. Ein uraltes Buch, aber es war ihm als Krimi mit einer überraschenden Wendung empfohlen worden. Es passierten darin tatsächlich unvorhersehbare Dinge. Sogar mehrfach. Es gefiel ihm ausnehmend gut.
Everett hatte festgestellt, dass Kriminalromane eine angenehme Erholung von der Anstrengung boten, jeden Tag mit Zahlen jonglieren zu müssen, daher hatte er schon vor Jahren angefangen, einen Roman pro Woche zu lesen. Exakt einen pro Woche. Er begann jeden Sonntag mit einem neuen Buch. Daddy hatte 377 Seiten. Damit er es also nach einer Woche durch hatte, musste er 53,85 Seiten pro Tag lesen. Heute war Mittwoch, also musste er bis zum Schlafengehen Seite 216 erreicht haben. Tatsächlich war er heute aber sogar seinem Plan ein wenig voraus, da er gestern Abend mehr als seinen üblichen Teil gelesen hatte und erst am Ende des Kapitels aufgehört hatte. Keine Katastrophe, aber eigentlich mochte er es nicht, wenn er seine eigenen Regeln brach.
Er drückte die Zigarette aus und steckte sich sofort eine neue an. Nach dem Essen gestattete er sich zwei unmittelbar hintereinander. Er schlug das Buch auf Seite 181 auf. Noch 35 Seiten. Er setzte sich an seinen Tisch und begann zu lesen.
5.
Will sah auf die Uhr. Beinahe Feierabend, aber er wollte den Motor des Aufsitzmähers noch zum Laufen bringen, bevor er sich ins Wochenende verabschiedete. Dann konnte er Montagmorgen sofort loslegen.
Er blickte über die sanfte Hügellandschaft unterhalb der Universitätsgebäude, wo die Fußball- und Footballteams auf dem frisch gemähten Rasen trainierten. Die Rasenflächen zu mähen und zu pflegen war eine Aufgabe ohne Ende, aber Will liebte das. Er hätte nie gedacht, dass er einmal zum Gärtner werden würde – nicht bei seiner Erziehung und Ausbildung –, aber er musste zugeben, es hatte auch seine guten Seiten. Es verschaffte ihm eine wirkliche Befriedigung, einfache Arbeiten mit den eigenen Händen zu machen. Ob es sich dabei um Unkraut jäten, Hecken schneiden, Rasen mähen oder Motor einstellen handelte, spielte keine Rolle. Während seine Hände beschäftigt waren, konnte er die Gedanken schweifen lassen. Und das taten sie dann auch. Er überlegte, dass er in den letzten Jahren sehr viel Tiefschürfenderes gedacht hatte als in seinem ganzen Leben zuvor.
Trotzdem hatte er keine Antworten gefunden. Nur weitere Fragen.
Zurück zu dem Traktor. Der alte John Deere war eine der meistgenutzten Maschinen im Fuhrpark und hatte die ganze Woche schon Ärger gemacht. Er hatte Zündaussetzer, Fehlzündungen und ging immer wieder aus. Er meinte, er hätte ein fehlerhaftes Zündkabel herausgehört. Das hatte er ausgetauscht. Jetzt kam die Probe.
Der Motor kam sofort mit der Zündung. Will lauschte sorgsam. Allein vom Klang konnte er schon viel über einen Motor aussagen, eine Fähigkeit, die er sich angeeignet hatte, als er als Teenager angefangen hatte, mit Motoren herumzuspielen.
»Hey, Willie! Klingt hervorragend!«
Er sah auf und sah Joe Bob Hawkins, den Vorarbeiter der Gärtnertruppe, vor sich stehen. Er war jünger als Will – vielleicht vierzig –, aber mit dem schütteren roten Haar und der gewaltigen fassförmigen Brust wirkte er älter.
»Kaputtes Zündkabel.«
»Du hast ’n Händchen für Maschinen, das sag ich dir. Hab noch nie jemand gesehen, der so gut wie du da drin ist, ’nen Motor zu reparieren. Haste ’n Diplom in Motormedizin oder so was?«
»Ganz recht, Bob. Ich habe einen grünen Motordaumen.«
Er lachte. »Hast du,
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