ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Nervosität legte sich, als er zu reden begann. Er kannte den Ablauf seiner Geschichte so gut wie die Grundrechenarten. Er hatte sie oft genug erzählt.
»Für mich begann es so, wie es sicherlich für die meisten von euch begonnen hat – als Teenager. Ich war nicht von Anfang an ein Säufer. Das dauerte seine Zeit und verlangte eine Menge Übung. Aber die Warnsignale waren da, von Anfang an. Alle meine Freunde tranken hier und da, wenn wir irgendwo bei unseren Familien Schnaps stibitzen oder irgendeinen Fremden überreden konnten, uns einen Kasten Bier zu kaufen, aber ich schien immer der Glücklichste, wenn uns das gelang, und am Boden zerstört, wenn nicht.
Und wenn ich einmal mit dem Trinken anfing, dann konnte ich nicht aufhören. Damals habe ich das nicht begriffen, aber jetzt in der Rückschau sehe ich, dass ich sogar als Jugendlicher nicht wusste, wann ich aufhören musste. Ich habe es nur deshalb nicht begriffen, weil unsere Bestände immer begrenzt waren. Unser erschlichener Schnaps ging immer aus, bevor ich mich bewusstlos trinken konnte.
Bei meiner Studentenverbindung an der Emory Universität gab es dieses Problem nicht mehr. Wir kauften das Bier fassweise und ich betrank mich regelmäßig. Aber nur an den Wochenenden, auf unseren Partys, wo ich zu einer Art Legende wurde, wegen den Mengen an Alkohol, die ich vertrug. Aber während der Woche schaffte ich es, einen Einser-Durchschnitt zu halten. Ich war der Neid meiner Kommilitonen – der Vorzeigestudent, der beim Saufen mit ihnen allen mithalten konnte. Ende der Sechziger wurde Marihuana zur beliebtesten Droge an den Universitäten. Nur nicht für mich. Ich war zu sehr Amerikaner für dieses Hippiezeugs.
Nicht, dass ich das nicht probiert hätte. Das habe ich. Irgendwann habe ich alles schon mal probiert. Viele Male. Aber ich bin meiner Freundin, der Flasche, treu geblieben. Weil nichts anderes diesen bestimmten Punkt in mir erreichte, der erreicht werden wollte. Nur der Alkohol traf diesen Nerv und beruhigte ihn.«
Er schüttelte den Kopf, als er an all die Jahre dachte, die darauf folgten. Da war so viel Schmerz. Er hasste es, das wieder anzurühren, aber es musste sein. Genau darum ging es bei diesen Bekenntnissen. Es durfte nicht so weit kommen, dass er das Elend vergaß, das er sich angetan hatte … und anderen.
»Ihr könnt euch jetzt alle denken, wie die Geschichte weitergeht. Ich machte meinen Abschluss, bekam einen Job in einer Elektronikfirma, die sich gerade in den Südstaaten niedergelassen hatte, und verdiente meinen Lebensunterhalt in der Computerbranche.
In diesen Tagen brauchte man noch einen ganzen Raum voller Technik, um das zu erreichen, was heute jeder PC schafft. Wäre ich heute noch bei dieser Firma, wäre ich wahrscheinlich Millionär. Aber der Alkohol nutzte den Druck meines Jobs, um mich enger an sich zu ketten.
Dann verliebte ich mich in eine wunderbare Frau, die sich durch die Liebe zu mir blenden ließ. Sie war dumm genug, zu glauben, sie könnte mir wichtiger sein als meine alte Freundin, die Flasche. Hatte sie eine Ahnung. Wir heirateten, wir bauten uns zusammen ein Leben auf, aber es war eine ménage à trois – meine Frau, die Flasche und ich.
Wie ihr seht, hielt ich die Flasche immer noch für meine Freundin. Aber sie war eine eifersüchtige Freundin. Sie wollte mich ganz für sich allein. Und langsam aber sicher vergiftete das meine Ehe, bis meine Frau mir ein Ultimatum stellte – sie oder die Flasche.
Diejenigen von euch, die das ebenfalls durchgemacht haben, können sich denken, was ich wählte.«
Ev holte tief Luft, um die Leere in seinem Innern zu füllen.
»Danach war es eine immer schneller abwärts führende Spirale. Ich verlor einen Job nach dem anderen. Aber meine Chefs stellten mir immer gute Zeugnisse aus, wenn sie mich auf die Straße setzten. Sie dachten, sie würden mir einen Gefallen tun, indem sie mir halfen, mein Problem vor der nächsten Firma zu verschweigen, die den Fehler machte, mich anzustellen. Das verlängerte meine intime Beziehung zu meiner Freundin, der Flasche, weil es den unvermeidlichen Absturz hinauszögerte.
Aber dann bin ich vollkommen abgestürzt. Ich habe drei Entziehungskuren gemacht, bevor mir schließlich klar wurde, dass diese Freundin, die mich seit zwanzig Jahren begleitet hatte, gar nicht meine Freundin war. Sie hatte mein Leben vollständig übernommen und es systematisch zerstört. Die Flasche saß am Steuer und mir wurde klar, wenn ich ihr das Heft nicht aus
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