ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
für Sexualstraftäter oder Transvestiten oder …«
»Ach komm, Rafe, muss das sein?«
Sie konnte sein Gesicht im Dunkeln nicht sehen, hoffte aber, dass er nicht wieder dieses sardonische Lächeln aufgesetzt hatte.
Sie standen schweigend eine Zeit lang da und sahen zu, wie andere Gestalten sich der Kirche näherten und durch die Seitentür eintraten. Es waren erheblich mehr Männer als Frauen, die meisten mittleren Alters, aber ein paar schienen auch kaum den Kinderschuhen entwachsen. Einige kamen zu zweit, aber die weitaus meisten kamen allein. Gegen 8:10 Uhr hörte der Zustrom auf.
»Nun, was denkst du?«, fragte Rafe, als es so aussah, als ob jeder, der kommen wollte, eingetroffen war. »Ich habe mehrere Dutzend gezählt. Etwas zu viele für eine gute Orgie.«
»Weißt du, Rafe, manchmal bist du einfach unmöglich.«
»Das ist nicht meine Absicht. Ich will nur Bescheid wissen. Wissen ist Macht, wie man so schön sagt.«
»Dann geh hin und finde es heraus.«
»Nein. Ich will, dass du gehst. Wenn ich nämlich zurückkomme und dir eine Geschichte über wilde satanische Riten erzähle, dann glaubst du, ich will dir einen Bären aufbinden. Du siehst dir das selbst an, und dann kommst du zurück und erzählst es mir. Egal, was du sagst, ich werde dir glauben, und damit ist die Sache dann erledigt.«
Noch mehr Herumschnüffelei! Lisl gefiel das nicht, aber jetzt war ihre eigene Neugier geweckt. Wenn Ev nicht jeden Mittwochabend einen Gottesdienst im Keller von St. James besuchte, was ging da dann wirklich vor?
»Na gut, ich sehe mir das an. Aber dann ist Schluss. Wenn es nichts Abartiges ist, ist Schluss mit dieser Sache und wir lassen den armen Kerl in Ruhe, ist das klar?«
»Einverstanden.«
Lisl hastete über die Straße zu dem dräuenden Schatten der Kirche und direkt zu der Tür, durch die Ev verschwunden war. Sie zögerte nicht. Falls sie das täte, könnte sie vielleicht darüber nachdenken, wie albern das war, was sie hier tat und es sich anders überlegen.
Sie zog die Tür vorsichtig auf und sah ein leeres Treppenhaus. Sie trat ein und stieg auf Zehenspitzen die zwei Treppen in den Keller hinunter. Sie sah Licht und hörte Stimmen am Ende des Flurs. Vorsichtig ging sie weiter, bis sie den Versammlungsraum fand. Die Türen standen offen, weit in den Korridor geöffnet wie ein Flügelpaar. Aus sicherer Entfernung spähte sie in den Raum.
Klappstühle waren in kurzen Reihen so aufgestellt, dass sie zur gegenüberliegenden Wand des niedrigen Raums zeigten. Die meisten der Stühle waren besetzt und die wenigen, die noch standen, rutschten gerade in die Reihen, um ebenfalls einen Platz zu bekommen. Jeder hatte entweder eine Zigarette oder einen Plastikbecher mit Kaffee in der Hand oder auch beides. Der Zigarettenrauch stand bereits dick im Raum. Weiße Wolken wallten im Schein der nackten Neonröhren an der Decke. Ev saß am Ende der letzten Reihe. Allein.
Lisl hielt sich im schwachen Licht des Korridors und beobachtete.
Ein Mann mit schütterem Haar stand vor der Gruppe. Auch er hielt eine Tasse Kaffee und eine Zigarette in den Händen. Er sprach, aber die Worte waren kaum zu verstehen. Lisl ging auf die andere Seite, um ihn besser hören zu können. Sie schlüpfte hinter die offene Tür und hörte zu. Durch den Schlitz zwischen der Tür und der Wand hatte sie einen uneingeschränkten Blick auf Ev.
»… die gleichen Gesichter wie sonst. Unsere ›Stammgäste‹. Aber von einigen von euch haben wir schon seit Langem nichts mehr gehört. Wir wissen alle, warum ihr hierherkommt, aber ich finde, ein paar von euch, die ihr schon lange dabei seid, ihr haltet euch zu sehr zurück, weil ihr meint, wir wissen bereits alles über euch. Aber das tun wir nicht. Also wie sieht es aus? Wie wäre es, wenn einer von euch Gründungsmitgliedern jetzt aufsteht und uns an seinen Erfahrungen teilhaben lässt?«
Er wartete, aber niemand rührte sich. Schließlich deutete er auf die letzte Reihe.
»Everett. Wie wäre es mit dir? Wie haben von dir schon lange nichts mehr gehört? Wie sieht es aus?«
Ev stand langsam auf. Er schien sich unbehaglich zu fühlen. Er räusperte sich mehrfach, bevor er sprach.
»Mein Name ist Everett und ich bin Alkoholiker.«
Mit ineinander verknoteten Fingern, fast wie im Gebet, beugte Lisl sich dem Streifen Licht entgegen und lauschte.
4.
Everett war zuerst nervös. Er hatte das seit geraumer Zeit nicht mehr getan, aber sein Zeugnis war überfällig. Er war an der Reihe.
Seine
Weitere Kostenlose Bücher