ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Straße hinunter. Er war einen Augenblick zuvor beim Aufräumen nach dem Abendessen – 200 Gramm gebackenes Hühnchen, eine Tasse Tiefkühlerbsen und eine kleine Dose Maiskörner – daran vorbeigekommen, und er hätte schwören können, er hätte Lisl gesehen, die unter der Straßenlaterne vorbeiging. Aber als er erneut hinsah, war sie verschwunden. Musste wohl jemand anderes gewesen sein. Was sollte Lisl denn da unten? Sie war wahrscheinlich gerade irgendwo mit diesem Losmara essen. Und nach dem Essen würden sie zu ihrer Wohnung gehen und …
Er blickte auf die Uhr an der Wand, dann auf seine Armbanduhr. Beide zeigten 19:32 Uhr an. Er wusste, die Zeit war korrekt, weil er beide regelmäßig mit der Uhr im Wetterkanal abglich. Zeit zu gehen. Das Treffen begann zwar erst um 20:00 Uhr, aber Ev war meistens schon etwas früher da und holte sich eine Tasse Kaffee, solange der noch frisch war. Vor allem, weil er auf den Kaffee und die Zigaretten nach dem Essen verzichtete, um sich die für das Treffen aufzusparen. Starkes Rauchen und Kaffeetrinken waren bei den Treffen die Regel, und er wollte seine täglichen Dosen nicht überschreiten.
Der Wetterkanal hatte die Möglichkeit von Regen erwähnt, deswegen zog er seinen Regenmantel über und steckte den Taschenschirm ein. Er warf noch einen letzten prüfenden Blick durch die Wohnung, vergewisserte sich, dass die Essensutensilien alle verstaut waren, dann machte er sich auf den Weg.
Wie üblich blieb er vor dem Fenster von Rafterys stehen und beobachtete die Trinkenden exakt eine Minute lang. Als er sich abwandte, sah er ganz kurz einen Schopf blonden Haares weiter unten an der Straße. Einen Moment dachte er, es wäre Lisl, die in einem Hauseingang stand. Aber als er durch die Dunkelheit blinzelte, um besser zu sehen, war da niemand.
Er ging weiter und fragte sich, warum Lisl seine Gedanken so sehr in Beschlag nahm. Er wusste, er hatte mehr als üblich an sie gedacht, aber das lag an dem Foto, das der Detective ihm gezeigt hatte. Jedenfalls hoffte er, dass das der Grund war. Ev war sich bewusst, wie anfällig er für Obsessionen war. Er wollte nicht, dass sie zu einer wurde. Nicht Lisl. Nicht eine Kollegin.
Er ging weiter – nur noch ein paar Blocks zur St.-James-Episkopalkirche. Als er sie erreichte, ging er an dem imposanten Granitportal vorbei zu einer kleinen Holztür an der Nordseite.
3.
»Da!«, sagte Lisl und konnte ein Feixen nicht verbergen. »Da hast du sein großes, schlimmes Geheimnis! Ein geheimes Treffen im Keller der Kirche.«
Sie rieb sich die verfrorenen Hände, während sie im Schatten eines Hauseingangs auf der der Kirche gegenüberliegenden Straßenseite standen. Die Spannung, Ev über die dunkle Straße zu verfolgen und jedes Mal wegzutauchen, wenn er stehen blieb oder sich umdrehte, hatte ihre Nerven aufgeputscht.
Sie blickte zu Rafe, der kein Wort mehr gesagt hatte, seit Ev die Kirche betreten hatte.
»Komm schon Rafe, nicht den Kopf hängen lassen. Nimm es nicht so schwer, dass er sich nicht in irgendeine Schwulen-Fetisch-Bar geschlichen hat. Du kannst nicht immer gewinnen.«
»Was meinst du, was tut dein Freund Everett da drin?«
»Wer weiß? Vielleicht ist er Laienprediger oder so etwas.«
»Hat er auf dich je den Eindruck gemacht, er sei religiös?«
Lisl dachte darüber nach. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Ev je Gott erwähnt hätte, nicht ein einziges Mal. Sie kannte nicht viele Leute, die sich mit höherer Mathematik beschäftigten und immer noch an Gott glaubten.
»Nein. Aber wir beide wissen seit letzter Woche, dass seine Wohnung ein Muster an Frugalität, Nüchternheit und Ordentlichkeit ist. Ich glaube nicht, dass es von da aus ein großer Schritt ist, ihn als praktizierenden Christen zu akzeptieren.«
»Vielleicht nicht. Aber ich bin immer noch nicht überzeugt, dass er nicht doch irgendwas verbirgt.«
»Gib es auf, Rafe. Er ist einer von uns. Er ist ein Prim.«
Ihr gefiel die Idee, Ev als offizielles Mitglied im Club ansehen zu können.
»Vielleicht. Aber ich werde nicht überzeugt sein, solange ich nicht weiß, was da drin vorgeht.«
»Das ist eine Kirche, Rafe.«
»Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich weiß auch, dass Kirchen traditionell Vereinen und gemeinnützigen Organisationen ihre Kellerräume und Ähnliches zur Verfügung stellen. Ich frage mich, was das heute für eine Gruppe in dem Keller ist.«
»Was macht das für einen Unterschied?«
»Nun, es kann sich doch um eine Selbsthilfegruppe
Weitere Kostenlose Bücher