ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
zwischen den modernen zweigeschossigen Reihenhauswohnungen mit den blaugrün gefleckten Zedernholzverkleidungen hindurchlief, ballte sich eine Art Besorgnis in ihrem Bauch zusammen. Es konnte natürlich sein, dass er nicht zu Hause war, aber das war nicht der Grund. Das war jetzt ein Überraschungsbesuch. Was, wenn sie diejenige war, die überrascht werden würde? Was, wenn sie ihn zusammen mit einer anderen Frau vorfand? Was würde sie dann tun?
Ein Teil von ihr sagte, sie würde auf der Stelle tot umfallen. Und ein anderer Teil flüsterte ihr zu, dass sie ganz sicher nicht sterben würde. Warum denn auch? Sie war schon früher betrogen worden – vielfach. Und wenn sie von jemandem wie Rafe betrogen wurde, war das doch nur das, womit sie hätte rechnen müssen; das, was sie verdient hatte.
Hör auf damit!, schalt sie sich. Negatives Denken.
Rafe hatte sie immer wieder ermahnt, sich nicht so herunterzumachen. Und Lisl versuchte, etwas dagegen zu tun. Aber es war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Die Gewohnheiten eines ganzen Lebens lassen sich nicht von heute auf morgen ablegen.
Und was fiel einer unscheinbaren Schnalle wie ihr überhaupt ein, sich mit einem jüngeren Mann wie Rafe Losmara einzulassen? Er sah gut aus, war brillant – was sollte so ein Mann schon an ihr finden?
Und doch sah er etwas in ihr. Musste er einfach. Sie hatten jetzt schon seit mehr als einem Monat etwas miteinander. Sie waren bemüht, es als diskrete, private Angelegenheit zu behandeln, die mit der Universität nichts zu tun hatte, aber eine solche Beziehung ließ sich in einer so eng verzahnten Gemeinschaft nicht geheim halten.
Lisl war sich sicher, dass einige ihrer Kollegen an der Fakultät und ganz bestimmt deren Frauen die Köpfe zusammensteckten und tuschelten, wenn sie sie zusammen in der Stadt sahen, aber niemand hatte ihr gesagt, sie solle sich am Riemen reißen und ihm den Laufpass geben. Sie war sicher, es wäre etwas anderes, wenn Rafe seine Arbeit an ihrer Fakultät schreiben würde. Dann würde ihre Beziehung als klarer Interessenkonflikt gewertet und sie hatte keinen Zweifel, dass sich Harold Masterson als Dekan der mathematischen Fakultät sofort auf sie gestürzt hätte. Aber weil Rafes Doktorarbeit von der Psychologie-Fakultät betreut wurde, wurde ihre Beziehung toleriert und nicht mit Missbilligung, sondern nur mit Staunen und Verblüffung betrachtet.
Glotzt nur ruhig, sagte sie sich dann. Ich hab meinen Kerl und ihr habt eure.
Aber hatte sie das wirklich? Oder machte sie sich da nur etwas vor?
Sie liebte ihn. Sie wollte es nicht. Sie wollte nicht wieder in einer Position sein, die sie angreifbar machte. Aber sie konnte nichts dagegen tun. Und sie fragte sich natürlich, was er ihr gegenüber empfand. Nutzte er sie aus? Spielte er mit ihr?
Lisl zögerte, als sie so unangemeldet vor Rafes Tür stand. Er war so jung – sie durfte das nie vergessen. Würde er ihrer überdrüssig werden? Konnte sie seinen Bedürfnissen je wirklich genügen? War da gerade in diesem Moment jemand anderes mit ihm zusammen in seiner Wohnung?
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
Sie holte tief Luft und klopfte. Und wartete. Niemand kam an die Tür. Sie versuchte es erneut, aber wieder ohne Ergebnis. Vielleicht war er nicht zu Hause. Oder vielleicht reagierte er auch nicht, weil …
Sie wollte das gar nicht wissen.
Aber als Lisl gerade gehen wollte, öffnete sich die Tür. Rafe stand da mit triefenden Haaren und einem um die Hüften geschlungenen Handtuch. Er wirkte wirklich überrascht.
»Lisl. Ich meinte, ich hätte die Tür gehört, aber ich hätte nicht gedacht …«
»Ich … wenn es gerade nicht passt …«
»Nein. Kein Problem! Komm rein! Ist etwas passiert?«
Die Weiße seiner Wohnung war jedes Mal erneut ein Schock für sie – die Wände, das Mobiliar, die Teppiche, die Bilderrahmen und die meisten der Gemälde darin – alles weiß.
»Nein«, sagte sie. »Warum sollte etwas passiert sein?«
»Nun, das hier passt so gar nicht zu dir.«
Sie spürte, wie ihr Selbstvertrauen schwand. »Es tut mir leid. Ich hätte anrufen sollen.«
»Sei nicht albern. Es ist schön.«
»Bist du wirklich froh, mich zu sehen?«
»Merkst du das nicht?«
Sie sah hinunter auf sein Handtuch, und wie es sich vor ihm aufwölbte. Sie lächelte und vergaß ihre Bedenken. Das galt ihr. Nur ihr. Zögerlich streckte sie die Hand aus und öffnete den Knoten an seiner Hüfte. Das Handtuch fiel zu Boden.
Ja. Das galt ihr. Nur
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