ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
überfällig.«
»Mein Leben war gar nicht so schlecht.«
Rafe warf sich auf den Rücken und starrte an die Decke.
»Nun. Sicher. Ein Leben lang herumgeschubst und niedergemacht zu werden von den Leuten, die dich eigentlich unterstützen und aufbauen sollten. Das ist deutlich weniger als ›gar nicht so schlecht‹.«
»Wieso meinst du, dass du so viel über mein Leben weißt?«
»Ich weiß das, was du mir erzählt hast. Den Rest kann ich mir denken.«
Lisl erhob sich auf einen Ellbogen und sah auf ihn hinunter.
»Na gut, du Genie. Erzähl mir von mir.«
»Schön. Wie wäre es damit? Egal, was du je getan hast, deine Eltern waren mit nichts zufrieden.«
»Falsch. Sie …«
Rafe unterbrach sie. »Sie haben immer an dir herumkritisiert, oder? Und das, obwohl du in der Grundschule und der Oberstufe immer nur Bestnoten gekriegt hast, nicht wahr?«
»Ja, aber …«
»Und ich wette, bei einem naturwissenschaftlichen Talentwettbewerb hat dein Projekt den ersten Preis gemacht, ja? Obwohl du es ganz allein machen musstest. Ohne jede Hilfe von deiner Verwandtschaft – die anscheinend immer gerade etwas Besseres zu tun hatte – hast du all die anderen Kinder geschlagen, deren Väter und Brüder und Onkel – die natürlich auch Besseres zu tun hatten, die das aber selbstverständlich dafür liegen ließen – für sie die meiste Arbeit gemacht hatten. Und wie haben deine Eltern reagiert, als du nach Hause gekommen bist und denen deine Urkunde gezeigt hast? Ich wette, da hieß es: ›Das ist ja ganz schön, Liebling, aber hast du eigentlich schon einen Partner für den Abschlussball?‹ Na, irre ich mich?«
Lisl lachte: »Oh Gott. Woher weißt du das?«
»Und ich wette, deine Mutter hat dich immer genervt: ›Leg doch die Bücher weg, los, geh aus, triff dich mit Jungens!‹«
»Exakt getroffen. Genau das hat sie gesagt.«
Das war wirklich unheimlich!
»Welcher Spruch in deiner Jugend gibt ihre Haltung dir gegenüber wohl am besten wieder?«
»Ach … ich weiß nicht.«
»Wie wäre es mit: ›Was ist bloß los mit dir?‹«
Die Worte trafen einen Nerv. Genau so war es. Gott, wie oft hatte sie sich das in diesen Jahren anhören müssen?
Sie nickte. »Wie …?«
»Ich wette, deine Mutter hat dir nie das kleinste Kompliment gemacht. Eine unsichere Zicke, die es nicht über sich brachte, dir zu sagen, dass du gut aussiehst, der es zu viel war, dein Selbstvertrauen zu stärken. Und du hast das dann verinnerlicht: ›Du hast zwar was auf dem Kasten, aber was bedeutet das schon? Warum gehst du nicht mehr aus? Warum ziehst du dich nicht adretter an? Warum hast du keine angesagten Freunde?‹«
Lisl fühlte sich langsam sehr unbehaglich. Das ging doch ein wenig zu sehr an die Substanz.
»Okay, Rafe, das reicht jetzt.«
Aber Rafe war noch nicht fertig.
»Und wenn es nicht etwas war, was sie sagten oder taten, was dich in deinen Augen herabsetzte, dann war es das, was sie nicht sagten, was sie nicht taten. Sie sind nie zum Elternsprechtag gegangen, um sich das Lob deiner Lehrer anzuhören. Ich wette, sie sind nicht einmal zu den naturwissenschaftlichen Wettbewerben gekommen, um sich anzusehen, wie deine Projekte gegen die der anderen abschnitten.«
»Es reicht, Rafe!«
»Aber irgendwann dann, sehr spät würde ich sagen, fing dein Vater doch an, an dich zu glauben. Den größten Teil deiner Jugend hatte er Angst, du würdest eine alte Jungfer werden, die er nie aus dem Haus bekommen würde. Dann erzählte ihm jemand, dass deine Noten so hervorragend seien, dass du damit umsonst an einer der staatlichen Universitäten studieren könntest. Was für eine Erkenntnis! Plötzlich sah er das Licht und wurde Lisls größter Förderer!«
Das tat zu sehr weh. »Hör auf, Rafe. Ich meine es ernst.«
»Plötzlich, zum ersten Mal in seinem Leben, prahlte er mit seiner Tochter herum, die jetzt auf Staatskosten Karriere machen und viel Geld verdienen und er damit einen Teil der Steuern zurückbekommen würde, die er in all den Jahren eingezahlt hatte.«
»Halt den Mund!«
Es war wahr – nur zu wahr. Sie hatte es damals schon erkannt, sie hatte es die ganze Zeit gewusst, aber sie hatte den Tatsachen nie ins Auge gesehen. Es hatte so sehr wehgetan, dass sie es in einer tiefen, dunklen Ecke vergraben hatte. Aber jetzt buddelte Rafe das aus und stieß sie mit der Nase hinein. Warum?
Rafe lächelte: »Plötzlich stand Daddy felsenfest hinter seiner teuren studierten Investition.«
»Du Mistkerl!«
Sie holte mit der Faust
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