ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
verwendet.«
Das war ihre Rafe-Muschel. Vor ein paar Wochen hatte sie in ihrer Muschelsammlung gewühlt und sie herausgeholt. Eine schimmernde Kaurimuschel mit einem kunstvoll gefleckten Muster auf der Rückseite. Wunderschön – genau wie Rafe. Sie hatte von einem Juwelier ein Loch hineinbohren lassen und schon hatte sie eine Halskette. Nur Lisl wusste, wofür die stand.
Einen Moment später starrte Will schon wieder, diesmal auf den mageren Inhalt ihrer Lunchbox, den sie auf einer Papierserviette ausbreitete.
»Wie ich sehe, hältst du immer noch diese Diät.«
»Ja, Diät halten kommt von durchhalten. Mit Mühe und Not. Sechs Wochen lang nur Kaninchenfutter. Ich liebe das einfach. Ich springe jeden Morgen aus dem Bett und freue mich schon auf die lukullischen Grenzerfahrungen, die mich erwarten.«
»Es bringt aber etwas. Ich meine, ich sehe das Ergebnis. Vielleicht hast du schon genug abgenommen, um dir dann und wann eine Abwechslung zu gönnen.«
»Nicht, bevor ich mein Zielgewicht erreicht habe.«
»Und das wäre?«
»Sechzig Kilo. Sieben Kilo muss ich noch schaffen.«
Upps. Sie hatte gerade ihr Gewicht verraten. Nicht, dass es bei Will etwas ausmachte. Sie hatte das Gefühl, wenn er nicht mit ihr zusammen war, war es leichter, von der Sphinx Informationen zu bekommen als von ihm. Aber es war eine Zahl, mit der sie eigentlich nicht hausieren sollte.
»Ich finde, du bist gut so, wie du bist.«
»Das meinen die Ernährungstabellen auch. Wenn man nach denen geht, sollte eine 1,65 Meter große, normal gebaute Frau wie ich unbekleidet vierundsechzig Kilo auf die Waage bringen. Das ist vielleicht das Optimum für ein möglichst langes Leben, aber nicht für die Art von Kleidern, die ich tragen will.«
»Ich finde trotzdem, dass du gut aussiehst.«
»Danke.« Sie wusste, dass ihr Aussehen für Will nicht sonderlich wichtig war. »Aber ich verrate dir mal etwas. Abgesehen davon, dass ich so ein paar überflüssige Pfunde loswerde, habe ich bei diesem ganzen Diäthalten auch wirklich Mitleid mit den Leuten entwickelt, die ihr ganzes Leben mit Gewichtsproblemen zu kämpfen haben. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn man jahrein, jahraus mit seinen Pfunden zu kämpfen hat. Das ist so deprimierend .«
Will zuckte die Achseln und biss herzhaft in sein Sandwich.
»Einfach nur Selbstdisziplin«, sagte er mit vollem Mund. Er schluckte. »Du setzt dir selbst ein Ziel und versuchst es zu erreichen. Und auf dem Weg dahin trifft man Entscheidungen. Wie du dich entscheidest, hängt davon ab, was dir wichtiger ist. Im Fall des Diäthaltenden besteht diese Wahl eben in einem vollen Bauch oder einer schlanken Figur.«
Seltsam. Er klang fast wie Rafe.
»So einfach ist das nicht, Will. Vor allem nicht, wenn es Leute gibt – so wie dich –, die scheinbar mühelos beides miteinander vereinbaren können. Wann musstest du jemals ein Opfer bringen, Stunde um Stunde, Tage um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat?«
Will sah sie an und für einen Moment blitzte etwas in seinen Augen auf, dann sah er wieder weg. Sein Blick richtete sich in die Ferne und blieb da. Wieder schoss ihr der Gedanke durch den Kopf: Was hast du erlebt, was hast du getan?
»Tu das nicht …« Lisl brach die Stimme. »Tu das nicht als einfach ab, wenn du es nicht selbst mal tun musstest.«
»Das würde ich niemals tun.«
Sie aßen für eine Weile schweigend. Lisl verspeiste ihren Hüttenkäse und das Gemüse und hatte immer noch Hunger – so wie gewöhnlich. Sie nuckelte an ihrer Diätlimonade.
»Sagtest du nicht, das wäre deine erste Diät?«
»Ja. Rafe sagt, es wird auch meine letzte sein. Ich hoffe, er hat recht.«
»Drängt dich dieser Rafe dazu, abzunehmen?«
»Nicht im Geringsten. Im Gegenteil, ihm wäre es lieber, ich würde damit aufhören, weil wir fast überhaupt nicht mehr essen gehen. Er sagt, er hat mich genauso gemocht, wie ich war, als wir uns kennengelernt haben.«
Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie sich daran erinnerte, wie Rafe ihr gesagt hatte, sein Geschmack bei Frauen tendiere eher zu den Rubensfiguren. Aber das hatte sie nicht davon abgehalten, mit diesem Fitnessprogramm anzufangen.
Will grummelte.
»Was sollte das heißen?«, fragte Lisl.
»Es bedeutet, dass er mir – egal, was er sagt – nicht der Typ scheint, der sich nur mit gut zufrieden gibt.«
»Wie kannst du das sagen? Du kennst ihn gar nicht.«
»Nur so ein Eindruck. Vielleicht liegt es daran, dass er zu gut aussieht und
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