ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Beamten und zerzauste ihm das dunkle Haar. Nur Carol sah den bösen Blick, den er sich dafür von Jimmy einfing. »Er ist ganz ruhig geblieben und hat uns angerufen, als er bemerkt hat, was passiert ist. Bedauerlicherweise haben wir es nicht mehr geschafft, rechtzeitig hier zu sein.«
»Ja«, sagte Jimmy mit einem langsamen Kopfschütteln. »Er muss wirklich lange furchtbare Schmerzen ausgestanden haben. Wenn ich ihn doch nur früher gefunden hätte.«
In seinen Augen spiegelte sich nichts von der Trauer in seiner Stimme.
Als die Polizei und der Krankenwagen wieder weg waren, nahm sie sich den Jungen vor.
»Was ist passiert, Jimmy?«
Er zuckte die Achseln und sah sie unbeteiligt an: »Jonah hatte einen Unfall.«
»Und warum hatte er einen Unfall?«
»Er hat einen Fehler gemacht.«
»Jonah machte für gewöhnlich keine Fehler.«
»Er hat einen schweren Fehler gemacht. Er war hier, um mich zu beschützen. Aber er fing an sich einzubilden, er könnte ich sein. «
Ein eisiges Gefühl setzte sich in Carols Knochen fest, während Jimmy sich umdrehte und davonging.
Dezember
VII
1.
Lisl hatte gerade die Adresse auf die letzte Einladung zu ihrer Weihnachtsfeier geschrieben, als das Telefon klingelte.
»Wie geht es meiner liebsten Prim?«, fragte Rafe.
Ein warmes Gefühl durchströmte sie beim Klang seiner Stimme.
»Ziemlich gut. Ich bin froh, dass ich mit diesen Einladungen fast fertig bin.«
»Was hältst du von ein paar Weihnachtseinkäufen?«
Lisl dachte darüber nach. Es war gerade erst Anfang Dezember. Sie hatte nur eine kleine Liste von Personen, für die sie Geschenke besorgen musste und für gewöhnlich wartete sie damit bis kurz vor knapp. Absichtlich. Sie fand, dass die Irrungen und Wirrungen eines Einkaufs in allerletzter Minute – die vollen Einkaufszentren, die verstopften Parkplätze, die Nervosität bei der nicht ganz unberechtigten Befürchtung, alle guten Geschenke könnten bereits ausgegangen sein –, eine Menge zum Reiz der Weihnachtsfeiertage beitrugen.
Aber das jetzt wäre nicht bloß ein Einkaufsbummel. Das wäre ein Tag zusammen mit Rafe. Sie verbrachten fast jede Nacht miteinander. Aber dass sie sich am Tag trafen, kam selten vor. Er hatte seine Forschung, die ihn auf Trab hielt, und sie hatte ihre Seminare und die Arbeit an dem Vortrag für Palo Alto.
»Gerne. Wann?«
»Ich hole dich in einer halben Stunde ab.«
»Ich werde bereit sein.«
Als sie die Marken auf die Einladungen klebte, überprüfte sie noch einmal, ob sie auch tatsächlich für jeden auf ihrer Liste eine Einladung geschrieben hatte – das hatte sie –, dann dachte sie an Will. Er war nicht auf der Liste, weil eine Einladung an ihn eine Verschwendung war, aber sie wollte ihn unbedingt dabeihaben. Warum sollte sie es ihm also leicht machen, indem er keine Einladung bekam? Schnell adressierte sie noch einen weiteren Umschlag, schrieb eine persönliche Notiz an Will dazu und schob den Stapel Briefe in ihre Handtasche. Dann beeilte sie sich mit dem Anziehen.
Sie dachte an das Thanksgiving, das sie mit Rafe verbracht hatte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben war Lisl für das traditionelle Truthahnessen nicht zu ihrer Familie gefahren. Das hatte sie Rafe zu verdanken. Eines der Ergebnisse ihrer gewalttätigen Begegnungen mit ihm war die tiefere Einsicht in ihre Kindheit. Sie fing an, ihre Eltern besser zu verstehen, sie in einem neuen Licht zu sehen. Und das, was sie sah, gefiel ihr nicht. Dementsprechend fiel es ihr nicht schwer, zu Hause anzurufen und eine Ausrede zu erfinden, warum sie nicht zu ihnen kommen konnte. Sie waren sehr verständnisvoll gewesen. Es wäre ihr lieber gewesen, das wäre nicht so.
Rafe gestand, dass er so gut wie keine Erfahrungen mit Thanksgiving hatte. Sein spanischer Vater und seine französische Mutter hatten diesen Tag nie gefeiert. Aber weil er sich selbst als vollwertigen Amerikaner sah, wollte er sich auch dieser Tradition beugen. Deswegen hatte Lisl eine Truthahnbrust mit allen üblichen Ingredienzien gebacken. Im Laufe des Abends hatten sie zwei Flaschen Riesling geleert und es hatte wieder in einem schrecklichen Liebesspiel geendet.
Die Zeit, die sie miteinander verbrachten, war etwas seltsam. Rafe begann sanft und liebevoll, dann stellte er bohrende Fragen über ihre Vergangenheit. Er kannte all die Schwachstellen in ihrem Panzer, die ganzen neuralgischen Punkte ihrer Psyche. Er bohrte und stichelte so lange, bis sie mit Gewalt reagierte. Und dann liebten sie sich. Danach war
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