ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
tatsächlich?« Seine Rolle als allwissender Psycho-Student begann sie zu verärgern. »Woher weißt du das?«
»Erfahrungen aus der letzten Zeit. Sagen wir mal, von vor einer halben Stunde.«
Sie blickte auf seine Brust. Die Wunden, die sie ihm zugefügt hatte – die Kratzer, die Striemen und die blauen Flecken – waren fast vollständig verschwunden. Sie strich mit den Fingern über die fast unbeschädigte Haut.
»Wie …?«
»Ich heile schnell«, sagte er hastig und streifte sich ein T-Shirt über.
»Aber ich habe dir wehgetan!« Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Oh Gott, es tut mir so leid!«
»Das ist schon gut! Es ist nicht schlimm. Vergiss es einfach.«
Wie sollte sie das vergessen? Sie bekam Angst vor sich selbst.
Vielleicht hatte Rafe ja recht. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, fand sie es schon unmöglich, wie ihre Eltern all ihre Interessen vernachlässigt und ihre Leistungen ignoriert hatten. Und Brian – Gott wusste, sie hatte wahrlich Grund, ihren Exmann zu hassen.
»Es wird nie wieder vorkommen. Das schwöre ich.«
»Es hat mir nichts ausgemacht, glaub mir. Ganz im Gegenteil. Ich will, dass du einen Teil deiner Wut an mir abreagierst. Das ist gut für uns beide. Das festigt die Verbindung zwischen uns.«
»Aber warum … warum willst du dir so etwas gefallen lassen?«
»Weil ich dich liebe.«
Lisl fühlte, wie ihr das Herz überging. Es war das erste Mal, das er das gesagt hatte. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und drückte ihn an sich.
»Meinst du das wirklich so?«
»Natürlich. Merkst du das nicht?«
»Ich weiß nicht, was ich merken soll. Ich bin so durcheinander.«
»Dagegen werden wir etwas tun. Wir werden Mittel und Wege finden, dich von deiner Wut zu befreien.«
»Wie?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber ich lasse mir etwas einfallen. Darauf kannst du dich verlassen.«
Der Junge im Alter von zehn Jahren
Zwei Streifenwagen und ein Rettungswagen standen in der Einfahrt. Carol rannte auf das blau-rote Lichtermeer zu, das von der Fassade des Hauses reflektiert wurde.
Es war mehr als ein Haus. Eine dreigeschossige Villa. Der ehemalige Stolz eines Ölmagnaten mit Swimmingpool, Tennisplatz mit Flutlichtanlage, sogar einem Fahrstuhl vom Weinkeller hoch in den zweiten Stock. Sie hatten das Anwesen im letzten Sommer gekauft. In den fünf Jahren, seit sich Jimmy selbst um seine Finanzen kümmerte, hatte er ihr Vermögen auf mehr als 25 Millionen Dollar vergrößert. Er hielt es nicht mehr für nötig, sich im Hinterland von Arkansas zu verstecken, daher waren sie hier in die Randbezirke von Houston gezogen.
»Was ist passiert?«, rief Carol und zerrte am Arm des ersten Polizisten, den sie sah.
»Sind Sie die Mutter?«
»Oh mein Gott! Jimmy! Was ist mit Jimmy passiert?«
Entsetzen bohrte sich durch die Angst, die sie umklammert hielt. Jimmy war so unabhängig, so selbstständig, sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass ihm etwas zustoßen könnte. Er schien fast unzerstörbar.
»Einen netten Jungen haben Sie da«, sagte der Polizist. »Ihm fehlt nichts. Aber sein Großvater …« Er schüttelte traurig den Kopf.
»Jonah? Was ist passiert?«
»Wir sind noch nicht sicher. Er war im Fahrstuhlschacht. Warum, wissen wir nicht. Aber warum auch immer, er steckte da unten fest, als die Kabine abwärts fuhr.«
»Oh Gott.«
Sie drängte sich an dem Polizisten vorbei und rannte auf die offene Haustür zu. Sie blieb stehen, als ihr die Sanitäter mit der Trage entgegenkamen. Ein schwarzer Leichensack lag darauf. Aus den Reißverschlüssen an der Seite sickerte Blut.
Carol presste sich die Hand auf den Mund, um nicht loszuschreien. Sie hatte ihre Probleme mit Jonah gehabt, und oft genug hatte sie sich gewünscht, er würde seine Sachen packen und endlich gehen. Aber so etwas?
Sie schob sich an der Trage vorbei ins Haus. In letzter Zeit hatte sich zwischen Jimmy und Jonah etwas verändert. Jonahs frühere Anhänglichkeit und fast sklavische Fügsamkeit hatte im Laufe des letzten Jahres einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen. Seine Haltung war herausfordernd geworden, fast schon bedrohlich.
»Jimmy!«
Sie bemerkte die kleine, magere Gestalt, die fast zwischen den beiden Beamten links und rechts von ihr verschwand. Ihr erster Impuls war es, zu ihm hinzulaufen und ihn in die Arme zu nehmen, aber sie wusste, er würde sie nur wegstoßen. Liebesbezeugungen waren ihm ein Gräuel.
»Hallo Mutter«, sagte er leise.
»Da haben Sie aber einen tapferen Jungen«, sagte einer der
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