ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Er war neugierig, was für ein Mann – ein jüngerer Mann noch dazu – eine solche Verliebtheit in einer so intelligenten Frau bewirken konnte. Andererseits fürchtete er sich auch vor diesem Zusammentreffen, weil er Angst hatte, herauszufinden, dass Rafe Losmara doch nur auf tönernen Füßen stand.
Es war sinnlos, das Unvermeidliche länger hinauszuzögern. Er riss den Umschlag auf.
Da war es. Trotz all seines Sträubens hatte sie ihn eingeladen. Eine Weihnachtsfeier. Beginn acht Uhr, Ende offen, am Samstag vor den Feiertagen. In Rafes Wohnung in Parkview.
Das klang nett. Zu schade, dass er nicht gehen konnte. Nicht nur, weil er sich dort am falschen Platz fühlen würde – ein einfacher Arbeiter zwischen all den Professoren –, es würde dort auch Telefone geben. Und er musste sich von Telefonen fernhalten.
Dann sah er den handschriftlichen Zusatz am Ende der Innenseite.
Will,
komm bitte. Ich habe nicht viele Freunde, aber ich will sie alle bei meiner Party dabeihaben. Und es wird keine Party sein, wenn du nicht da bist. Bitte!
In Liebe,
Lisl
Die Schuldgefühle. Wie konnte er dazu Nein sagen? Der Gedanke, sie zu enttäuschen, war furchtbar, aber er konnte nicht dorthin. Das war unmöglich.
Oder doch nicht?
Vielleicht gab es eine Möglichkeit. Er musste darüber nachdenken …
VIII
1.
Will fuhr gerade zum dritten Mal durch das Parkview-Wohngebiet. Er war bei jeder Runde an Rafe Losmaras Haus vorbeigekommen, aber jedes Mal konnte er sich nicht dazu durchringen, anzuhalten und hineinzugehen. Er fühlte sich wie ein ängstlicher Teenager, der immer im Kreis am Haus des schönsten Mädchens der Schule vorbeifährt und nicht den Mut aufbringt, anzuhalten und zu klingeln.
Es war offensichtlich, wo die Party stattfand. Will hätte sie auch ohne die Adresse gefunden. Das Sammelsurium von Autos in der Einfahrt und am Bürgersteig die Straße hoch und runter sprach Bände.
Schließlich zwang er sich dazu, seinen Chevy an den Straßenrand zu fahren, aber er ließ den Motor laufen.
»Gut«, murmelte er. »Jetzt musst du dich entscheiden.«
War es das wert? Das war die Frage. Er war bereits eine Stunde zu spät. Das Schlaueste wäre es jetzt wirklich, zu wenden, nach Hause zu fahren und keinen Gedanken mehr an Weihnachtsfeiern zu verschwenden.
Er konnte sehen, wie sie da an den Fenstern standen, Drinks in den Händen, und wie sie lachten, redeten, sich produzierten. Er gehörte da nicht dazu. Sie waren Professoren und er war Arbeiter. Und er war schon so lange nicht mehr auf einem gesellschaftlichen Empfang gewesen, er war sich sicher, ihm würde schon in den ersten zehn Minuten irgendeine schlimme Peinlichkeit unterlaufen.
Aber das waren alles nur alberne Entschuldigungen. Das Telefon – das war das Hindernis, das wirklich zählte. Was sollte er wegen des verdammten Telefons unternehmen? Nein, Plural. Es musste in Losmaras sich über drei Stockwerke erstreckender Wohnung mehrere Apparate geben.
Und sobald er sich ein paar Minuten zusammen mit einem Telefon in einem Raum befand, begann es mit diesem langen, unheimlichen Klingeln und dann würden sie diese Stimme hören, und wenn Will nahe genug war, würde auch er sie hören und selbst nach all diesen Jahren ertrug er es einfach nicht, dieser Stimme noch einmal zu lauschen.
Aber er hatte einen Plan. Und es war an der Zeit zu handeln. Zeit, ein Risiko einzugehen.
Will schaltete den Motor aus und stieg aus dem Wagen. An der Eingangstür des Reihenhauses zögerte er und kämpfte gegen den Impuls an zu flüchten. Aber nein – er würde sich zusammenreißen. Er würde das schaffen. Jetzt oder nie.
Ohne zu klingeln trat er ein und ergriff den Ärmel der am nächsten stehenden Person – ein Tweedärmel mit einem Wildlederaufnäher am Ellbogen. Ein bärtiges Gesicht wandte sich ihm zu.
»Hallo«, sagte Will mit aller Selbstsicherheit, die er aufbringen konnte. »Ich muss bei meiner Dienststelle anrufen. Wo ist das Telefon?«
»Ich glaube, ich habe eines auf dem Tisch neben dem Sofa da vorne im Raum gesehen.«
»Danke.«
Sofort begann sich Will zwischen den Gästen hindurchzuschlängeln, wobei er sich nur nach vorne, auf das Sofa zu, orientierte und den Augenkontakt mit allen Personen vermied. Ein weißes Sofa. Ein weißer Teppich. Weiße Wände. Alles war weiß. Die Gäste wirkten wie Fremdkörper in dieser Umgebung. Sie trugen alle möglichen Farben, aber nicht weiß.
Da war es. Links vom Sofa. Das Telefon. Und natürlich auch weiß.
Der Plan war
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