Angst
wenn du es wirklich nicht wolltest...«, sagte Rob und schaute seinen Vater durchdringend an.
»Das entspricht nicht ganz der Wahrheit«, erklärte Dix. »Ich wollte schon, obwohl ich wusste, dass ich es nicht hätte tun sollen, doch ich habe es trotzdem gemacht. Hat einer von euch ein Problem damit?«
Ein Augenblick der aufgeladenen Stille verstrich, dann flüsterte Rob: »Es ist wegen Mom.«
Dix hatte gewusst, dass dieser Moment früher oder später käme, sobald eine Frau in sein Leben treten würde. In den Tagen nach Christies Verschwinden war Dix in einem Nebel aus Schmerz herumgewandert und zu beschäftigt damit gewesen, seine Frau zu suchen und sich um die Jungen zu kümmern. Als sein Gehirn einige Wochen später langsam wieder klarer wurde, begriff er auf einmal, dass die beiden unbedingt mit ihm über ihre Mutter reden wollten. Außerdem wurde ihm bewusst, dass er seine Söhne ebenso sehr brauchte wie sie ihn. Er redete so offen und ehrlich wie möglich mit ihnen. Im Gegenzug gewöhnten sie sich an, stets mit ihm über ihre Gefühle zu sprechen. Zumindest hatte er das bis zu diesem Augenblick gedacht. Was ihn selbst betraf, so hatte er um der Jungen willen seine eigene Trauer tief in sich begraben, und sie hatten sich allmählich mit der Situation abgefunden und akzeptiert, was nicht zu ändern war. Bis jetzt - als der Kuss mit Ruth ihr stillschweigendes Abkommen gebrochen hatte.
Dix fuhr seinen Söhnen mit den Händen durchs Haar, während Liebe, Schmerz und Schuldgefühle ihn überbewältigten. Das war nichts Neues, doch nun reihte sich Ruth in dieses Durcheinander.
»Es ist wegen Mom«, wiederholte Rob.
»Ich weiß, Rob, ich weiß«, erwiderte Dix. »Aber eure Mom ist jetzt schon seit drei Jahren verschwunden.«
Rafe sagte: »Billy Caruthers - du weißt schon, der Spinner im Baseballteam, den ich als Pitcher ausgestochen habe hat sich darüber das Maul zerrissen und gesagt, er wettet, dass Mom mit einem Typen durchgebrannt ist, den sie im Fitnessstudio kennengelernt hat. Das kann ich einfach nicht glauben ... aber wenn das wahr wäre, dann kommt sie vielleicht zurück.«
Unsägliche, grenzenlose Wut überkam Dix. »Du weißt, das wird nicht passieren, Rafe.«
Robs Augen füllten sich mit Tränen, doch seine Stimme blieb ruhig. »Das weiß ich. Ich habe ihm gesagt, dass Mom so etwas nicht tun würde, und dann hat die Prügelei begonnen. «
»Und Onkel Tony hat uns gesagt«, fuhr Rafe fort, »dass sie vielleicht schwer krank geworden ist und nicht wollte, dass wir ihr beim Sterben Zusehen, und sie deshalb fort ist. Aber wenn das wahr ist, Dad, warum hat sie nicht geschrieben und es uns erklärt?«
»Euer Onkel Tony hat euch das gesagt? Wann war das, Rafe?«
»Vor ungefähr drei Monaten.«
Rob nickte. »Ich hatte Onkel Tony gefragt, ob sie Krebs hatte, und er hat geantwortet, dass er das nicht weiß. Allerdings müsste es doch dann etwas Schlimmes gewesen sein, etwas Unheilbares.«
Die beiden Jungen wollten einfach nicht akzeptieren, dass ihre Mutter tot war. Dix konnte ihr Leugnen nur zu gut nachvollziehen, denn er hatte dieses Stadium selbst mehrmals durchlebt. »Hört mir gut zu! Eure Mutter hätte uns niemals verlassen, niemals! Keine Krankheit, nichts hätte sie dazu gebracht, ohne ein Wort wegzufahren. Warum hat mir keiner von euch etwas gesagt?«
Rob wich dem Blick seines Vaters aus. Er schüttelte den
Kopf, die Augen auf Brewster gerichtet. »Es ist wegen Ruth, Dad. Wir haben es dir wegen Ruth erzählt.«
»Ich verstehe. Ich hatte nicht vor, Ruth zu küssen, aber es ist passiert. Irgendwann muss ich schließlich mit meinem Leben weitermachen, mit meinen Gefühlen, egal, wie schwer das für uns alle ist. Eure Mutter würde das gutheißen. Ich wünschte, ihr wärt, nachdem ihr diese Dinge gehört habt, gleich zu mir gekommen und hättet sie nicht tief in eurem Innersten vergraben. Ich hatte gedacht, wir hätten das schon längst hinter uns gebracht.«
Rob flüsterte: »Du glaubst, Mom ist tot, weil nur das der Grund sein kann, warum sie uns so lange allein gelassen hat?«
In der Diele herrschte vollkommene Stille. Dix schaute auf seine Söhne. Von Anfang an hatte er ihnen immer die Wahrheit gesagt, doch er wusste, dass sie sie nicht akzeptieren wollten. Und weil er es hasste, ihnen Leid zuzufügen, hatte er sie nie gedrängt. Tja, jetzt würde allerdings nur noch die grausame Wahrheit helfen. Er hielt die beiden ein Stück von seinem Körper weg, damit er sie anblicken konnte, und
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