Angst (German Edition)
Schrecken, sondern den Trost. Die Schönheit der Berge würde bleiben, die Schönheit des Meeres, mein Job würde bleiben, Rebecca würde bleiben, aber wäre sie noch die Rebecca, die ich kenne? Paul poppte hoch, Fee poppte hoch, ich winkte ihnen zu. Als Paul geboren wurde, bei offenem Fenster an einem heißen Sommertag, war mein erster Gedanke, dass es nun einen Menschen gibt, dessen Leben mehr zählt als mein eigenes, für den ich mein Leben geben würde, wenn ich seines damit erhalten könnte. Ich habe schon geschrieben, dass ich kein Pathetiker bin, und das stimmt wirklich, aber das war einer meiner wenigen pathetischen Momente. Der Gedanke war einfach da, als dieses Kind aus dem Schoß meiner Frau glitt. Bei Fee habe ich das Gleiche gedacht, aber da war es schon der Gedanke, der kommen musste, damit es keinen Unterschied gibt in der Liebe zu meinen Kindern. Gibt es auch nicht, und der Satz gilt immer noch, ich würde mein Leben für meine Kinder geben, jeder Vater würde das, hoffe ich. Ich faltete eine Hausecke, strich Klebstoff über eine Kante, als ich merkte, dass ich die Köpfe meiner Kinder eine Weile nicht gesehen hatte. Ich lauschte nach ihrem Lachen oder Kichern, hörte aber nichts. Keine Panik, ermahnte ich mich, sei nicht paranoid. Aber ich war paranoid, ich stand auf und schaute hinter die Hecke. Paul und Fee lagen auf dem Trampolin und blinzelten schweigend in die Sonne. Ich legte mich zu ihnen, wir lagen eine Weile da und redeten nichts, meine Augen waren geschlossen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich Herrn Tiberius am Rand der Hecke stehen, und ich sah ein Messer in seiner rechten Hand. Ich schnellte hoch, brauchte aber einen Moment, bis ich unter dem Sicherungsnetz hervorgekrochen war, dann rannte ich los. Ich sah ihn noch im Souterrain verschwinden. Als ich vor der Außentür stand, wurde mir klar, dass ich nicht nur ein Messer gesehen hatte, sondern auch einen Apfel, rechts das Messer, links den Apfel. Ich ging nicht ins Souterrain, ich hämmerte nicht gegen seine Tür, ich setzte mich wieder an den Gartentisch und baute weiter am Modell. Fee kam und fragte, warum ich weggelaufen sei. Ich habe einen Fuchs verscheucht, sagte ich. Gar nicht, sagte Fee, hier ist kein Fuchs. Du hast recht, sagte ich, ich habe mich versprochen, es war ein Luchs. Sie sah mich zweifelnd an. Stimmt das, fragte sie. Darauf ich: Vielleicht war es auch ein Eichhörnchen. Fee: Aber ein Luchs ist viel größer als ein Eichhörnchen. Ich: Aber nicht ein Babyluchs. Sie: Ist der so klein? Ich: Kleiner als eine Katze jedenfalls. Sie: Wann hast du mal einen Babyluchs gesehen? Ich: Als du geboren wurdest, lag einer in dem Bettchen neben dir. Sie: Gar nicht wahr. So ging es eine Weile hin und her, bis Fee vergessen hatte, was sie von mir wissen wollte. Sie ging wieder hüpfen, ich überlegte mir eine Form für einen Erker. Man fühlt sich nicht so richtig wohl, wenn man sein Kind ausmanövriert hat.
Was wollte Herr Tiberius? Meine Frau war nicht da, das wusste er sicherlich, da er die Gartenpforte ständig beobachtete. Hatte er gehofft, dass Paul und Fee allein waren auf dem Trampolin? Uns quälte immer noch der Verdacht, er könne hinter den Kindern her sein, obwohl alles, was er tat, auf meine Frau gerichtet war. Als Indiz hatten wir nur seine Schilderungen von dem, was wir angeblich mit unseren Kindern machten. Wir dachten weiterhin, dass nur einer, der Kinder begehrt, sich so etwas ausmalen würde. Das war Teil unserer Paranoia, wir konnten uns nur die schlimmsten Möglichkeiten vorstellen, lebten in einer Worst-Case-Welt, lebten ein Worst-Case-Leben.
Ich muss gestehen, und das ist überaus schmerzlich für mich, dass ich darüber nachgedacht habe, ob es sein kann, dass meine Frau unsere Kinder sexuell missbraucht. Sobald mir dieser Gedanke kam, habe ich ihn verbannt, es durfte nicht sein, dass mir Herr Tiberius mit seinen infamen Aktionen einen solchen Verdacht eingeträufelt hatte. Und doch war es so. Ich schob den Gedanken ein paarmal weg, aber weil er wiederkam, habe ich ihn einmal zugelassen und zu Ende gedacht. Ich befragte mein Gedächtnis ausführlich, rief mir Situationen in unserer Badewanne in Erinnerung, Rebecca mit Fee, Rebecca mit Paul, aber mir fiel nichts, gar nichts ein, was den Verdacht hätte bestätigen können, nur die normale Familienkörperlichkeit, wie es sie damals noch gab zwischen uns. Mir ist klar, dass die Welt nicht nur das ist, was wir sehen, was wir hören. Die Dinge können in den Stunden,
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