Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid
wenigen grauen Haaren in Kranzform betont wurde, dazu eine faltige Stirn, herabhängende Wangen und einen unförmigen Hals. Seine breiten Schultern waren in sich zusammengesackt, und er ging gebeugt.
Wiley war alt geworden. Nur seine Augen - eiskalt, blau und wachsam - zeigten noch den Mann, der er einmal gewesen war.
»Einmal ein Dieb, immer ein Dieb«, meinte Streng.
Wiley zuckte mit den Achseln. »Am Geld liegt es nicht. Aber Medienanschlüsse, Wasser und so weiter bedeuten Behörden, Papiere, Rechnungen. Und ich will nicht gefunden werden.«
»Aber du bist gefunden worden«, wies ihn Streng hin. »Und dafür mussten andere Menschen ihr Leben lassen. Nur weil du irgendwas angestellt hast.«
Wiley räusperte sich erneut und seufzte. »Das ist schon lange her, Ace. Mom und Dad sind bereits eine ganze Weile tot, und du hegst noch immer einen Groll?«
Streng trat auf Wiley zu. »Du hast unsere Eltern in Gefahr gebracht. Ebenso, wie du die Stadt in Gefahr gebracht hast. Du bist egoistisch, Wiley. Du kümmerst dich immer nur um dich.«
Wiley verschränkte die Arme. »Erinnerst du dich noch, warum ich mich freiwillig bei der Armee gemeldet habe?«
»Um Geld auf dem Schwarzmarkt zu machen?«
Wileys Augen starrten ihn eisig an. »Um dir deinen verdammten Arsch zu retten.«
»Ach, du warst doch viel zu sehr damit beschäftigt, Drogen und Waffen an die Vietcong zu verkaufen, um irgendeinen Arsch zu retten.«
Wiley kam näher, so dass sich die beiden Brüder schließlich direkt gegenüberstanden. Auf einmal schien er weniger gebeugt zu stehen.
»Ich habe einige Scheiße in meinem Leben gebaut, Ace. Aber ich habe nie Waffen an den Feind verkauft.«
»Tatsächlich? Die Armee sagt was anderes, und deren Version kannten auch unsere Eltern.«
»Sie haben gelogen.«
»Irgendwas musst du aber getan haben, um die Armee gegen dich aufzubringen. Und wie ich dich kenne, war es wahrscheinlich nicht legal.«
»Du weißt nicht, was damals los war.«
»Ich weiß genau, was los war. Du bist ein schlechter Mensch, Wiley. Schon immer gewesen, und das wird sich auch nicht ändern. Als die Militärpolizei zu uns kam und Mom und Dad von deinen Machenschaften in Vietnam erzählte, hat sie das schwer getroffen. So schwer, dass sie sich nie wirklich davon erholt haben.«
Wiley beugte sich zu ihm. »Es ist schon immer deine Lieblingsbeschäftigung gewesen, mich zu verurteilen, Ace. Mit dem Finger auf mich zu zeigen und zu sagen: Schande über dich. Glaubst du, dass du besser bist als ich? Was hast du aus deinem Leben gemacht, Sheriff? Was gibt dir das Recht, so selbstgerecht daherzureden?«
Streng legte beide Hände auf Wileys Brust und stieß ihn so hart von sich, wie er konnte. Wiley taumelte rückwärts, fand aber sein Gleichgewicht rasch wieder. Er ballte die rechte Faust und holte aus, aber Streng war schneller. Das letzte Mal, als sie aneinandergeraten waren, hatte Wiley ihn alt aussehen lassen.
Diesmal würde es anders laufen.
Streng verpasste Wiley einen Hieb in die Magengrube, in dem dreißig Jahre aufgestauter Wut lagen.
Wiley sackte in sich zusammen, fiel auf die Knie und dann nach hinten. Er hielt sich den Bauch und atmete rasselnd durch den Mund. Streng richtete sich auf, um erneut zuzuschlagen, als etwas zu piepen begann. Wiley blickte auf den Plasmabildschirm.
»Sie haben eine meiner Kameras gefunden«, flüsterte er heiser.
Streng sah auf den Fernseher. Ein grün schimmernder Soldat schien sie direkt anzuschauen. Eine Sekunde später wurde das Bild schwarz.
Wiley stand langsam auf, nahm eine große Fernbedienung und schaltete zu einer anderen Kamera. Streng sah, wie ein ihm bekanntes Auto die Deer Tick Road entlangkurvte. Der alte Roadmaster der verstorbenen Mrs. Teller. Wiley schaltete erneut um, und das Auto hielt neben Olen Porrells Grubenentleerer.
Ajax und Santiago stiegen aus. Als Streng sah, dass sie Fran und Duncan bei sich hatten, verschlug es ihm einen Moment lang den Atem.
»Weißt du, wer die Frau da ist, Wiley? Und der Junge?«
Wiley starrte wortlos auf den Bildschirm und nickte dann.
»Wie lange hast du es schon gewusst?«
Wiley antwortete nicht, und Streng spürte, wie die Wut wieder
in ihm aufstieg. Er ging zu seinem Bruder, legte ihm eine Hand auf den Nacken und drückte zu.
»Das ist deine Tochter. Das ist dein Enkel. Die sind wegen dir hier.«
Wiley schüttelte Streng ab.
»Ich bin nicht der Vater. Das war eine Affäre, mehr nicht. Ein Fehler. Ich habe nur etwas DNS hinterlassen.
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