Angst über London
einläuten?
»Weiter, Miriam, weiter!«
Sie sprach nicht mehr. Die Frau senkte den Kopf und schaute auf ihre Schuhspitzen.
Ich legte meine Hände unter ihr Kinn und hob den Kopf an. »Was ist geschehen?«
Ihre Lippen bewegten sich. Sie waren blutleer geworden, zeigten nur noch eine blasse Farbe. Auch ihr Gesicht war kalkig. Die Frau hatte schwer zu leiden. Dann drehte sie sich um. »Hin«, murmelte sie. »Wir müssen hin. Schnell, sie rufen mich!«
»Wer ruft dich?«
Miriam di Carlo gab keine Antwort, sondern lief los. Ihre Füße klatschen auf den kahlen Boden, die Arme schwenkten, sie rannte so schnell, dass die beiden Nähte an der Rockseite rissen. Und sie lief dorthin, wo sich der Nebentrakt des Hospitals befand.
Wollte sie mich wieder in die Falle locken?
Doch vor dem Kühlhaus wandte sie sich scharf nach links, tauchte in einem Gang unter, und als ich sie verfolgte, sah ich, dass der Gang vor einer schmalen Tür endete.
Ich konnte nicht verhindern, dass sie die Tür aufriss, den ersten Schritt tat - und…
Auf der Schwelle blieb ich stehen.
Was ich zu sehen bekam, war der nackte Horror! Hinter der Tür lag keine Trümmerlandschaft, beileibe nicht, die hätte anders ausgesehen.
Ich schaute in eine andere Welt.
In eine Alptraumwelt.
Eine gewaltige Steinfigur überragte alles. Sie hatte nur entfernt Ähnlichkeit mit einem menschlichen Körper, aber ich glaubte, in ihr ein Abbild Asmodinas zu sehen. Direkt vor der Figur auf der Erde befand sich ein Stuhl aus Stein, der noch leer war, aber Miriam lief darauf zu und nahm Platz.
Mit einem Knall schlug hinter mir die Tür zu, so dass der Rückweg versperrt war.
Meine Blicke glitten weiter, und ich sah die Zombies, die im Halbkreis um die Steinfigur herumstanden. Zombies, Untote, mindestens 10 an der Zahl. Und jeder einzelne war für mich ein potentieller Gegner. Und dann erkannte ich zwei weitere Gestalten. Sie standen vor den Wiedergängern.
Rechts des steinernen Stuhls hatte sich Destero, der Dämonenhenker, in seiner typischen Pose aufgebaut. Die Schwertspitze berührte den Boden, beide Hände lagen auf dem Griff.
Die andere Seite, links neben der Frau, war von Mattox, dem unheimlichen Richter besetzt. Er hielt ein Buch in den Händen. Das Buch der Schwarzen Gesetze, mit denen das Reich der Dämonen regiert wurde. Mattox kannte jeden Paragraphen. Eine Strafe war schlimmer als die andere.
Hinter der Statue war die Welt schwarz. Finster, dunkel. Kein Licht brannte, kein Stern verbreitete Helligkeit. Dort lauerte die Schwärze des Alls mit solch einer. Kälte, dass mich fröstelte.
Man schaute mich an, sagte keinen Ton, sondern starrte mir nur ins Gesicht.
Die Augen hinter Desteros Kapuze funkelten, Mattox grinste dünn, die Zombies standen stumm. Ich wartete.
In meinem Innern hatte sich ein seltsames Gefühl breitgemacht. Eine Mischung aus Neugierde und Angst. Angst, weil die Gegner in der Überzahl waren, neugierig, weil ich das Rätsel endlich gelöst sehen wollte. Sie ließen sich Zeit. Lauerten, warteten, was ich wohl unternehmen würde.
Die Gesichter der Untoten waren kaum zu erkennen, sie verschwammen im Dämmer. Trotzdem konnte ich Männer, Frauen und Kinder unterscheiden. Das waren normale Menschen, vielleicht welche aus diesem Stadtteil, die von den Trümmern erschlagen waren und jetzt als Untote herumspukten.
Eine schlimme Vision.
Dann schaute ich wieder zu Miriam hinüber, die auf ihrem steinernen Stuhl saß, als würde er zu ihr gehören.
Seltsam, ich empfand sie nicht einmal als einen Fremdkörper unter dieser Statue. Miriam war eine Einheit, sie hatte sich völlig in den magischen Prozess mit eingegliedert. In dieser Welt herrschte eine absolute Windstille.
Nichts störte. Wir waren völlig allein und unter uns. Und ich war mir sicher, dass ich schon in naher Zukunft die Lösung des Rätsels finden würde.
Nur die Zombies waren etwas unruhig. Einige von ihnen scharrten mit den Füssen, andere rissen ihre Lippen auf, wieder andere bewegten die Arme, streckten sie vor, öffneten dabei die Hände und schlossen sie rasch.
Ich fühlte, wie es kalt meinen Rücken hinunterrieselte. Diese Welt war ohne Gefühl, das spürte ich. Hier regierte das Böse, hier triumphierte es.
Von meinem Kreuz ging eine seltsame Wärme aus, die sich in den Körper fortpflanzte.
Wie würde es weitergehen? Noch hatte niemand gesprochen. Auch hier, ich eingeschossen, warteten auf das bahnbrechende Ereignis.
Das kam!
Es begann mit Miriam di Carlo. Sie
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