Angst vor dem Blutbiss
auf seine Rache gewartet. Für ihn spielt die Zeit nicht die Rolle wie für uns normale Menschen. Die Blutsauger können warten, um dann blitzartig zuzuschlagen.«
Katja brachte die Dinge auf den Punkt. »Dann können wir davon ausgehen, daß er Susan geholt hat.«
Wir nickten. Die Mädchen erbleichten. Sie wurden unruhig. Sie schauten sich um, als suchten sie nach einem Versteck in der Nähe, wo sich der Blutsauger aufhielt. Da war nichts, wir blieben allein, es gab keine Lauscher oder Zuhörer.
»Ist sie… ist sie… auch zu einem Vampir geworden?« fragte Marisa.
»So sind doch die Regeln, denke ich. Das liest man immer. Das haben wir auch gelesen, aber wir haben niemals gedacht, daß es so etwas auch in der Wirklichkeit geben wird.«
»Manchmal schon.«
»Haben Sie noch Hoffnung für Susan?«
Ich schwieg. Auch Jane sagte nichts, und die Schülerinnen hatten verstanden. Zuerst stand Marisa auf, dann erhob sich Katja. »Es ist plötzlich so kalt geworden«, flüsterte die junge Deutsche, »als gäbe es die Sonne nicht mehr.«
»Ich habe Angst«, murmelte Marisa.
Katja nickte.
Auch Jane und ich waren aufgestanden. »Daß ihr Furcht habt, ist nur zu gut verständlich«, sagte ich. »Trotzdem brauchen wir eure Hilfe, und wir möchten, daß ihr euch noch einmal zusammenreißt.«
Ihre Blicke, mit denen sie uns anschauten, waren skeptisch.
»Was sollen wir denn tun?«
»Einiges«, stellte ich klar. »Sie müssen uns zunächst den Weg zu diesem Bergfriedhof erklären. Dann möchte ich, daß Sie beide nach Anbruch der Dunkelheit das Haus nicht mehr verlassen. Sie werden in Ihrem Zimmer bleiben und vor allen Dingen das Fenster verschlossen halten. Öffnen Sie es nicht. Denken Sie daran, daß wir ebenfalls in der Nähe sind und die Augen offenhalten.«
»Ich denke, Sie wollten zum Friedhof«, flüsterte Katja.
»Nicht in der Nacht. Wenn der Vampir Blut will, wird er sein Versteck verlassen und zu euch kommen. Und wir werden ihn hier erwarten, das verspreche ich.«
»Wo denn?«
»Am Haus. Wir bleiben draußen und halten Wache. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Das wird nicht klappen«, sagte Katja. »Das Gelände ist groß. Zudem ist es dunkel. Sie können nicht alles unter Kontrolle halten. Das ist einfach unmöglich.«
Ich nickte. »Normalerweise würde ich euch recht geben, aber wir haben es in diesem Fall nicht mit einem normalen Menschen zu tun, sondern mit einer Blutbestie. Das genau ist das Problem oder die Lösung. Wenn sich der Vampir an das Haus heranschleicht, wird er uns wittern. Er wird wissen, daß in seiner Nähe Menschen stehen, deren Blut darauf wartet, von ihm getrunken zu werden. Er wird, so hoffe ich, uns angreifen. Das ist unsere Chance.«
»Und das klappt?« fragte Marisa.
»Wir können es nur hoffen.«
»Sie haben ja Erfahrung, nicht?«
»Stimmt.«
Allmählich waren sie überzeugt, aber sie wollten noch wissen, wer alles eingeweiht werden sollte.
»Niemand«, sagte Jane. »Keine Vorgesetzten, keine Lehrer, was weiß ich nicht alles.«
»Sie würden uns nichts glauben.«
»Richtig, Katja.«
»Dann stehen wir allein.«
Ich lächelte ihnen zu. »Wenn Sie alles tun, was wir Ihnen gesagt haben, braucht nichts schiefzugehen. Dann werden wir den Blutsauger auch vernichten und zuschauen, wie er allmählich zu Staub zerfällt. Ist das nicht ein Weg?«
»Ja, das denke ich«, sagte die Italienerin. Und auch die deutsche Schülerin nickte.
Wir ließen uns von draußen ihr Fenster zeigen, dann erklärten sie uns den Weg zum Friedhof, zu dem wir über einen schmalen Weg gelangten, der allerdings steinig war, deshalb rieten sie uns, den Wagen vor Erreichen des alten Totenackers stehenzulassen. »Gut, machen wir.«
»Und wann kommen Sie zurück?« fragte Katja.
»Das steht noch in den Sternen. Wir kehren auf jeden Fall zurück. Ich verspreche es Ihnen.«
Jane wollte noch wissen, ob sie ein Kreuz oder einen anderen geweihten Talisman besaßen.
Beide hatten ein Kreuz.
»Es ist nur so klein«, sagte Katja.
»Hängen Sie es trotzdem um – sicherheitshalber.«
Sie versprachen es.
Dann trennten wir uns. Die beiden Schülerinnen betraten das Internat.
Wir schauten zu, wie sie im Halbdämmer des unteren Flurs eintauchten, als wären sie von einer Wolke verschluckt worden.
»Und?« fragte Jane.
»Was meinst du damit?«
»Hast du noch Hoffnung für Susan Carrigan?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
Wir schwiegen beide, als wir zum Wagen gingen. Bevor Jane einstieg, fragte sie:
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