Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
großzuziehen.“
„Danke.“ Aber sie war sich nicht ganz sicher, ob Johannes ihr gerade ein Kompliment dafür gemacht hatte, wie sie ihre Kinder erzog, oder ob er ihr vor Augen führen wollte, wie unnötig es war, dass er einsprang und die Vaterrolle übernahm.
Letzterem konnte sie nur zustimmen. Sie suchte keinen Mann, der in die Fußstapfen ihres Ehemannes treten könnte. Nicht, dass Rainers Schuhe zu groß gewesen wären, bestimmt nicht, was Kindererziehung betraf. Sie hatte die Kinder auch schon ohne ihn großgezogen, als er noch lebte, und sie sah keinen Grund zu einer Änderung, nachdem er nicht mehr lebte.
„Jonas hat sich das gewünscht, weil sein Freund Sam mit seinem neuen Stiefvater und all den schönen Sachen angegeben hat, die der dann mit ihm macht.“ Sie bückte sich, hob den Lappen auf und spülte ihn aus. Dann fügte sie schulterzuckend hinzu: „Morgen wünscht er sich schon wieder etwas anderes.“
Sie drehte Johannes weiterhin den Rücken zu, während sie den Tisch abwischte. Sie wollte nicht, dass er ihre Zweifel sah. Jonas hatte noch nie zuvor den Wunsch nach einem Vater geäußert, zumindest nicht so ausdrücklich. Er hatte nach dem Tod seines Vaters Fragen gestellt, hatte wissen wollen, warum ausgerechnet sein Vater in den Himmel gehen musste. Aber er hatte nie den Wunsch gezeigt, Rainer zu ersetzen. War das nur eine Phase, die er gerade durchmachte, ausgelöst durch Sams Bemerkungen, oder hatte sein plötzlicher Geburtstagswunsch etwa doch einen ernsten Hintergrund?
„Was wünschen sich siebenjährige Jungen noch außer Fahrrädern und Mutanten?“, fragte Johannes.
Sie lächelte und hängte den Lappen zurück. „Letzte Woche hat er sich ein Schwimmbecken im Garten gewünscht, damit er nicht so lange zu warten braucht, bis ich mit ihm und seinen Geschwistern ins Schwimmbad fahre. Die Woche davor hatte er sich ein Paar Inlineskaters in den Kopf gesetzt. Die Woche davor war es, glaube ich, ein Skateboard. Dann waren da noch das Trampolin, das ferngesteuerte Auto, der -“.
Johannes lachte leise und hob die Hände. „Ich habe schon verstanden.“ Er warf einen Blick auf den Spielzeughaufen in der Küche. „Wäre es nicht einfacher, gleich in einen Spielzeugladen einzuziehen?“
„Einfacher für mich oder für die Kinder?“ Sie schüttelte den Kopf über seinen absurden Vorschlag. Wer hatte schon gehört, dass man Kindern alles geben sollte, was sie sich wünschten? Mit überraschender Klarheit wurde ihr plötzlich etwas bewusst: „Du weißt nicht viel über Kinder, nicht wahr?“
Er grinste sie an. „Ich weiß, wie man sie macht, und wenn ich mich richtig erinnere, brauchen sie gewöhnlich neun Monate, um zu wachsen.“
„Und das ist alles?“ Sie konnte kaum glauben, dass ein Mann, der immerhin Mitte dreißig war, so wenig über etwas so Wichtiges wie Kinder wusste. Hatte er bislang in einem Käfig gelebt? Er wäre ein perfekter Kandidat für Monas Liste Die Männer, die ich heiraten will.
„Hast du denn keine Nichten oder Neffen?“
„Keinen einzigen. Ich bin ein Einzelkind.“ Er ergriff eine der Baseballkappen, die Jonas geschenkt bekommen hatte, sah sie an, zuckte mit den Schultern und legte die Kappe wieder auf den Küchentisch. „Ich war das Ergebnis einer sogenannten Überraschungsschwangerschaft.“
„Eine positive Überraschung oder ein Versehen?“
„Eindeutig ein Versehen.“ Johannes lächelte und bannte dadurch alle ihre Sorgen, dass er durch diese Mitteilung seiner Eltern vielleicht verletzt sein könnte. „Meine Mutter war vierzig, als sie mich bekam, und wusste wahrscheinlich noch weniger über Babys als ich heute.“
„Oh.“ Wie konnte eine Frau noch weniger über Kinder wissen? Was für eine Kindheit Johannes wohl gehabt haben mochte? Sie sah ihn an, wie er da in ihrer Küche stand, suchte nach Hinweisen und fand keine. Von Jonas Haufen von Geschenken war er offensichtlich fasziniert, ebenso von den Kräutern, die sie auf ihrem Fensterbrett zog. „Was macht deine Mutter?“, fragte sie. Eine Frau, die mit vierzig durch eine Schwangerschaft überrascht wurde und von Kindern nichts verstand, konnte keine typische Hausfrau der fünfziger Jahre sein.
„Meine Mutter hat ein Forschungsteam am Krebsforschungsinstitut der Charité geleitet. Jetzt ist sie im Ruhestand, aber bei dem vollen Terminkalender, den sie hat, würde ihr das keiner glauben.“
„Gute Güte. Und dein Vater?“
„Er hat als Chefarzt der Kardiologie ebenfalls in
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