Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
der Charité gearbeitet. Mittlerweile verbringt er seine Zeit entweder auf dem Golfplatz, um seine Schläge zu verbessern, oder in der Klinik bei irgendwelchen Sitzungen.“
Vor der nächsten Frage hatte sie Angst, aber sie musste sie trotzdem stellen. „Und du bist Gutachter von Beruf? Nur für Häuser oder auch für andere Baumaßnahmen?“
„Eigentlich bin ich Bauingenieur und habe dann eine Zusatzausbildung gemacht.“
Bauingenieur? Das klang nicht schlecht. Ein netter, angenehmer Job von neun bis siebzehn Uhr. Keine Vierzehn- Stunden-Tage, keine Arbeitswochenenden, keine gesellschaftlichen Klimmzüge. Nichts von dem, was sie an Rainers Arbeit so gehasst hatte. „Was begutachtest du denn lieber, Häuser oder Geschäftsgebäude?“
„Von beidem ein bisschen, aber zurzeit habe ich den Auftrag, von deinem Haus ein Gutachten zu erstellen.“
Johannes lächelte kurz. „Also, wann soll ich mit meinem Team anrücken?“
„Deinem Team? Was meinst du?“
„Meine Jungs von der Firma werden dein Haus erst mal wieder auf Vordermann bringen, dann machen wir eine Begutachtung und du kannst es verkaufen. In diesem Zustand kriegst du keinen einzigen Käufer.“
„Du hast eine Firma?“ Damit konnte sie alles streichen, was sie sich über einen netten, familienfreundlichen Job vorgestellt hatte. Johannes hatte eine eigene Firma, die Häuser baute und begutachtete.
„Meine Jungs sind gut und schnell. Und natürlich mache ich dir einen Sonderpreis. Also, was meinst du?“
Sanna sah sich in der Küche um und dachte an die viele Zeit und Mühe, die sie darauf verwendet hatte, den Raum ihren Vorstellungen gemäß einzurichten. Was für Spaß hatte ihr das gemacht und wie befriedigt und glücklich war sie gewesen, als sie ihr Ziel schließlich erreicht hatte.
„Wie viele Angestellte beschäftigst du?“
„Mit den Sekretärinnen zweiundzwanzig. Aber ich werde diesen Monat noch zwei Maurer einstellen.“
Himmel, seine Firma hatte viermal so viele Leute wie die von Rainer! Und Rainer hatte schon den Stress nicht überlebt. Was tat dieser Mann in ihrer Küche? Sie hätte ihn schon vor einer Stunde wegschicken sollen.
Die kleine Stimme in ihrem Kopf, die sie ständig „Was wäre, wenn?“ gefragt hatte, war plötzlich verstummt. Nein, es würde kein „Was wäre, wenn er derjenige ist?“, „Was wäre, wenn du ihn zum Essen einlädst?“ oder „Was wäre, wenn er dich küsst?“ mehr geben. Die Stimme war zum Schweigen gebracht worden. „Du musst sehr stolz auf dich und deine Leute sein.“
„Das bin ich.“ Sie hörte den Stolz in seiner Stimme und erschauerte. Seine Worte weckten Erinnerungen an Rainer, wie er damit prahlte, diesen oder jenen Klienten gewonnen oder diesen oder jenen Auftraggeber beeindruckt zu haben. Der einzige Unterschied war der, dass Johannes auf seine ganze Mannschaft stolz war, während Rainer immer nur damit angegeben hatte, was er alles errichtet hatte. Aber am Ende war es dasselbe. Beide Männer lebten nur für ihre Arbeit.
Es war Zeit, dass Johannes ging. Sie konnte sich nichts mehr vormachen. Johannes war nur aus einem einzigen Grund hier, und zwar dem, da weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Je eher ihm klar wurde, dass sie nicht mit ihm ins Bett gehen würde, desto eher würde er verschwinden.
Sie sah aus der Tür und entdeckte Jonas und Anna-Maria ganz hinten spielend im Garten. Privatsphäre war etwas, was es in diesem Haus nur selten gab, also straffte Sanna ihre Schultern, sah Johannes gerade in die Augen und sagte: „Ich werde nicht mehr mit dir schlafen.“
Johannes hatte das Gefühl, als hätte urplötzlich jemand sein Drehbuch geändert und als stünde er nun hilflos auf der Bühne. Wie waren sie nur von seiner Arbeit zu dem Thema Ins Bett gehen gekommen?
„Ich wüsste nicht, dass ich dich darum gebeten hätte.“
Sanna verschränkte die Arme vor der Brust. „Du wirst es tun.“
„Woher willst du das wissen?“ Ihre verteidigende Haltung entging ihm nicht. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich bedroht und unsicher. Und diese Bedrohung schien durch das Gespräch über seine Arbeit entstanden zu sein.
Sanna schien es Mühe zu bereiten, seinem Blick standzuhalten, als ob ihr plötzlich klar geworden wäre, dass sie ihn vielleicht falsch eingeschätzt hatte. Johannes kam sich vor wie ein Schuft, denn das hatte sie nicht. Er wollte sie tatsächlich so schnell wie möglich wieder in sein Bett bekommen, aber er hatte ja nicht gewusst,
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