Angsthauch
spähte. Manky lag nicht mehr da. Im Kies war eine kleine Kuhle ausgehoben worden, und alles, was vom Kater noch übrig war, war ein winziges rotes Klümpchen, das aussah wie eine zerdrückte Himbeere. Wahrscheinlich war es zu dunkel gewesen, und Gareth hatte es übersehen.
Sie hoffte, dass er den Leichnam aufbewahrt hatte, damit sie ihn beerdigen konnten. Damit sie und Anna die Möglichkeit bekamen, ihrer Trauer in einem Ritual Ausdruck zu verleihen. Zwei tote Tiere in vierzehn Tagen. Es sah nicht gut aus für die niederen Arten in ihrem Haus. Hoffentlich hatte Gareth den Kadaver in eine Kiste gelegt und nicht in eine Tüte. Bei der Vorstellung, Mankys Überreste in einem Plastiksack unter die Erde bringen zu müssen, drehte sich ihr der Magen um.
Rose blieb in der Hocke sitzen, an die Seite des blauen Wagens gelehnt, und kämpfte gegen den Brechreiz an. Urplötzlich war die Luft von einem beängstigenden Geräusch erfüllt, wie eine Papierschneidemaschine, die Stapel um Stapel Bastelpapier zerschneidet. Rose duckte sich ganz klein zusammen und presste die Hände auf die Ohren. Als sie sich zwang, den Kopf zu heben, sah sie, dass der Lärm von einem Schwanenpärchen kam, das über ihr die Luft mit seinen Flügeln durchschnitt.
Dann waren die Schwäne fort und ließen eine ohrenbetäubende Stille wie ein Vakuum zurück. Rose stand auf und klopfte sich die Steinchen von den Knien. Sie spähte durchs Fenster ins Wageninnere. Dort lagen eine Pizzaschachtel und – sie zählte sorgfältig – acht leere Flaschen mexikanisches Bier. Jemand hatte es sich gutgehen lassen.
Als Nächstes richtete sie den Blick auf die Fenster des Nebengebäudes und lauschte auf ein Lebenszeichen von drinnen. Die Stille war undurchdringlich. Alles, was sie hörte, war ein Summen in den Ohren, als hätte sie die Nacht über mit dem Kopf in einem Lautsprecher geschlafen. Auf dem Weg zurück zum Haus wurde das Summen immer lauter, und sie rieb sich mit den Handballen die Ohren, damit es endlich aufhörte. Durchs Küchenfenster warf sie einen Blick auf Flossie, die damit beschäftigt war, ihren halbzerkauten Zwieback auf dem Tischchen ihres Hochstuhls zu verschmieren.
Gut, dachte Rose.
Sie holte tief Luft und beschloss, noch nicht wieder hineinzugehen. Stattdessen ging sie ums Haus herum, am Pizzaofen vorbei und über den nassen Rasen zu Gareths Atelier. Wir müssen wirklich Trittsteine verlegen, wenn es immer so viel regnet, dachte sie.
In der Mitte des Rasens blieb sie stehen. Sie hörte das Blut durch ihren Körper rauschen, es klang wie das Pulsieren eines fötalen Herzmonitors. Sie atmete tief. Die Kälte schnürte ihr die Kehle zu und stach in ihrer Brust. Was für einen Geruch der Morgen hatte. Der süße Duft eines verfrühten Geißblatts erfüllte kaum merklich die Luft. Es hätte alles so wunderschön sein können, wenn das Summen in ihren Ohren nicht gewesen wäre und das Brennen in ihren Augen.
»Ein Anfang ist ein Tod«, sagte sie laut.
Vorsichtig drückte sie die Klinke zum Atelier herunter. Die Tür war abgeschlossen. Gareth schloss nie ab. Hatte er sie nicht immer ausgelacht, weil sie sich damit nur schwer abfinden konnte? Sie beugte sich vor und legte das Ohr ans Schlüsselloch. Die Vorhänge waren zugezogen – Verdunkelungsvorhänge, die kein Licht herein- oder hinausließen. Sie hielt die Luft an und lauschte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie seinen Atem hören konnte, tief und langsam. Und war da nicht auch ein Widerpart? Ein leiseres, helleres Atemgeräusch? Hörte sie nicht ein Duett?
Sie musste unbedingt die Töne zum Verstummen bringen, die immer wieder aus ihrem Inneren hochstiegen, damit sie besser hören konnte. Aber es war zwecklos, sie kam nicht gegen sie an. Auf einmal hatte sie das Gefühl, als schwämme sie durch dicken Sirup. Vielleicht sollte ich mal zum Arzt gehen, dachte sie.
Sie richtete sich auf und straffte den Rücken, dann wandte sie sich zum Haus. Gerade in diesem Augenblick schnürte der Fuchs über den Rasen. Das Rot seines Fells stach vor dem Hintergrund des sattgrünen Grases fast schmerzhaft heraus. Auf halbem Weg blieb er stehen und starrte sie an. Sie standen Auge in Auge, und als sie in ihn hineinsah, war ihr, als sähe sie sich selbst.
Es war völlig ausgeschlossen, dass er Manky etwas angetan hatte. Irgendwo hatte sie einmal gelesen, dass Füchse um Katzen einen großen Bogen machten, weil sie wussten, dass sie in einem Zweikampf den Kürzeren ziehen würden. Und Foxy hatte
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