Angsthauch
war.«
»Was ist mit dem da?« Nico hob ein Ei aus dem Korb, das so groß war wie von einem Vogel Strauß.
»Das ist das größte. Es ist aus Onyx, das ist ein Halbedelstein. Daddy hat es in Singapur gekauft.«
»Bringt dir dein Papa von überall her ein Ei mit?«, wollte Yannis wissen.
»Ja, ich hab schon sechzehn Stück. Aber jetzt war er seit Ewigkeiten nicht mehr verreist, und ich will endlich ein neues Ei haben.« Anna sah ihren Vater auffordernd an.
»Soso, du willst also, dass ich verschwinde.« Gareth lachte.
»Nein! Nein, Daddy, so war das doch nicht gemeint. Ich will bloß ein neues Ei, aber du sollst natürlich hierbleiben.«
»Aha. Na, dann ist es ja gut. Ich dachte schon, du hast die Nase voll von mir«, sagte er und kehrte mit gespielter Erleichterung zu seinem Essen zurück.
»Will noch jemand Schmortopf?«, fragte Rose im Versuch, das Thema zu wechseln. Sie war erstaunt, dass Gareth gegenüber den Jungen nicht ein wenig mehr Taktgefühl zeigte, schließlich hatten die beiden gerade erst ihren Vater verloren. Aber Nico und Yannis schienen gar nichts bemerkt zu haben. Sie waren beide auf eine seltsame Art unerschütterlich. Vielleicht hatte Polly recht und sie hatten das Ganze noch gar nicht richtig begriffen. Ein Monat konnte eine Ewigkeit sein, wenn man ein Kind war.
»Wie war eure Schule auf Karpathos?«, wollte Anna von Nico wissen, während sie ihre Eier sorgfältig zurück in den Korb legte.
»Klein«, antwortete Nico. »In der ganzen Schule gab es bloß dreiundzwanzig Schüler, und wir hatten alle im selben Klassenraum Unterricht.«
»War euer Lehrer nett?«
»Ging so«, meinte Nico.
»Er war toll!«, rief Yannis.
»Und ihr habt alles auf Griechisch gemacht?«
»Klar.«
»In meiner Schule ist es ganz anders«, erklärte Anna. Sie ging in die örtliche Grundschule, die nur einen kurzen Fußweg über die Wiese entfernt lag. »Da ist jede Klasse schon größer als eure ganze Schule.«
»Gehen wir da auch hin, Mama?«, wollte Yannis wissen, trat zu Polly und setzte sich neben sie.
»Was?«, fragte Polly, die während der Unterhaltung der Kinder offenbar ihren eigenen Gedanken nachgehangen hatte.
»Gehen wir dann auch auf Annas Schule?«
»Denke, schon«, antwortete Polly. »Ich hab noch nicht drüber nachgedacht.«
»Ich habe schon mit der Schulleitung gesprochen«, sagte Rose, während sie den Tisch abzuräumen begann. »Es gibt noch ein paar freie Plätze in der ersten und vierten Klasse, prinzipiell dürfte es also kein Problem sein. Aber du müsstest gleich morgen hingehen, weil du noch ein paar Unterlagen für die Schulverwaltung ausfüllen musst, glaube ich.«
»Das hat keine Eile«, meinte Polly und schenkte sich noch ein Glas Wein ein.
»Nein, natürlich nicht. Gareth, kannst du den Rest abräumen, dann hole ich den Nachtisch?«
Gareth erhob sich und stellte den Korb mit den Eiern zurück auf die Anrichte.
»Ihr geht auf meine Schule!« Anna schlug Messer und Gabel gegeneinander. »Cool! Dann ist es so, als ob ihr meine Brüder wärt. Oder wie Mum und Polly früher!«
»Ja, genau wie wir.« Polly warf Rose quer durch die Küche einen Blick zu und lächelte.
Rose zuckte innerlich vor Pollys Blick zurück, weil sie das Gefühl hatte, dass darin noch etwas anderes, Komplizierteres, lag als bloße Wehmut. Verwirrt unterbrach sie den Augenkontakt und machte sich am Nachtisch zu schaffen.
*
»So«, sagte Gareth, nachdem die Kinder, die Bäuche voll mit Apple Crumble, geräuschvoll nach oben abgezogen waren. »Wie lange willst du denn bleiben, Polly?« Er stellte eine zweite Flasche Rotwein auf den Tisch und setzte sich Polly gegenüber.
»Okay, ich hol meinen Mantel.« Polly grinste schief.
»Du weißt genau, dass er das so nicht gemeint hat«, sagte Rose und goss ihnen allen noch Wein nach. »Stimmt’s?« Sie drehte sich zu Gareth um.
»Natürlich nicht«, bestätigte Gareth und fixierte Polly. »Ich bin bloß neugierig, ob du schon Pläne hast.«
»Eigentlich nicht.« Polly lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
»Alles zu seiner Zeit …«, meinte Rose.
»Genau. Wie man so schön sagt. Aber ich bin sicher, dass mir schon irgendwas einfallen wird. Und sobald es so weit ist, erfahrt ihr es als Erste.«
Rose nahm über den Tisch hinweg Pollys Hand. Sie hatte das Gefühl, sie besänftigen zu müssen. Sie hatten alle schon ziemlich viel Wein getrunken, und sie wollte nicht, dass es an diesem ersten Abend zu Streitigkeiten kam. Vor allem, da bis jetzt
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