Angsthauch
zu.
Ihr Vater drehte sich um und floh aus der Stube ihrer Privatwohnung im Untergeschoss des hohen, dunklen Regency-Hauses geradewegs in die Arme seiner Ehefrau, die zu seinem Glück nie sah, was sie nicht sehen wollte.
Ihre Eltern verkündeten, dass sie nie wieder hocherhobenen Hauptes durch Brighton würden gehen können, und verkauften die Pension. Sie zogen nach Schottland, in die Geburtsstadt von Roses Mutter nördlich von Edinburgh. Sie fragten Rose nicht, ob sie mitkommen wolle, was diese ohnehin nicht getan hätte.
Ohne Polly hätte Rose danach weder ein noch aus gewusst. Pollys Mutter lag mittlerweile im Krankenhaus, also zog Rose kurzerhand bei ihnen ein. Polly kümmerte sich um alles. Ja, wenn Polly nicht gewesen wäre, dann stünde Rose jetzt nicht da, wo sie stand.
Nachdem Flossie sich satt getrunken hatte, trug Rose sie in ihr Zimmer und legte sie in ihr Bettchen. Wie sie so mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag, die Arme schlaff zu beiden Seiten hin ausgestreckt, sah sie fast aus wie tot. Der Anblick beschwor in Rose die unwillkommene Erinnerung an den Autounfall herauf, an dem sie auf dem Heimweg vorbeigefahren waren. Sie hatte ihn völlig vergessen. Sie schloss die Augen und dachte daran, wie eine einzige falsche Handlung eine ganze Familie ausgelöscht hatte. Wie zerbrechlich doch alles war.
Sie strich Flossie sacht über die Wange, woraufhin diese leise im Schlaf zu murmeln begann und ein paarmal mit den Lippen schmatzte, wie um zu signalisieren, dass sie noch am Leben war und dass ihre Mutter ruhigen Gewissens gehen durfte.
Rose kehrte nach unten in die Küche zurück. Polly saß wieder im Sessel, hatte ein Glas Whisky in der Hand und starrte ins Feuer. Der Abwasch musste noch erledigt werden, und von Gareth war weit und breit nichts zu sehen.
7
A ls Rose es endlich geschafft hatte, Anna und die Jungs voneinander loszueisen, war es schon nach elf. Während Anna sich bettfertig machte, ging Rose mit Polly und den Jungen zum Nebengebäude hinüber. Sie hatte sich bemüht, die kleine Wohnung so behaglich wie möglich herzurichten. Sie hatte sie von oben bis unten geputzt und jede Menge von Annas alten Spielsachen und Büchern ins Schlafzimmer der Jungs geschafft. Bevor sie zum Flughafen gefahren war, hatte sie außerdem noch Feuer im Holzofen gemacht, den sie vor ihrem Einzug eingebaut hatten. Zufrieden stellte sie fest, dass er jetzt, Stunden später, immer noch Wärme abgab.
»Wo ist mein Zimmer?«, wollte Nico wissen.
Rose zeigte ihm die kleine Kammer, die an das größere Wohn-Schlaf-Zimmer grenzte. »Da drin. Leider müsst ihr es euch teilen.«
»Das ist ja nichts Neues«, brummte er und zuckte mit den Schultern.
»Krass, ein Doppelstockbett! Darf ich oben schlafen?« Yannis sah Rose an.
»Ab ins Bett mit euch, ihr beiden«, rief Polly von nebenan. »Zähne putzen und Schlafanzüge anziehen lasst ihr heute mal ausfallen.«
Nach einem kurzen Gerangel verständigten sie sich darauf, dass Nico oben schlafen sollte, weil er größer war und somit für ihn der Weg nach unten, sollte er nachts aus dem Bett fallen, nicht ganz so weit wäre. Rose deckte die beiden zu, dann beugte sie sich über sie und gab jedem einen Gutenachtkuss.
»Und wir können wirklich so lange bleiben, wie wir wollen?«, flüsterte Yannis unter seiner Bettdecke hervor.
»Noch länger.« Rose lächelte.
Als sie wieder ins große Zimmer kam, ging Polly dort rastlos auf und ab.
»Ich weiß, es ist ein bisschen klein«, meinte Rose. »Aber die Jungs können gern zum Haus runterkommen, sobald sie wach sind, dann kannst du ein bisschen ausschlafen. Ich bin wegen Floss sowieso ab sechs auf.«
»Nein, es ist wunderschön. Wirklich. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll«, sagte Polly.
»Und hier, sieh mal!« Rose öffnete schwungvoll den Kühlschrank. »Crème Caramel von Bonne Maman. Weißt du noch?«
»Früher hab ich praktisch nichts anderes gegessen«, meinte Polly und wog die Packung, die Rose ihr gereicht hatte, in den Händen. »Außer Solpadein.«
Sie stellte die Packung zurück in den Kühlschrank und trat ans Fenster.
»Da hab ich morgens ja einen tollen Blick aufs große Haus.«
Rose zeigte ihr, wie sie die Vorhänge mit Hilfe der Kordel schließen sollte, statt einfach am Stoff zu ziehen.
»Lass sie ruhig offen. Ich will mir noch ein bisschen den Himmel anschauen.«
Rose ergriff Pollys Hand. »Kommst du klar?«
»Sicher«, antwortete Polly. »Ich bin ein zäher alter Vogel.«
»Das
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