Angsthauch
schwarzen Kleid und einem ebenfalls schwarzen Oberteil aus durchsichtigem, weich fließendem Stoff. Ihr Make-up war in dunklen Farben gehalten, aber wunderschön, trotz – oder gerade wegen – der rotgeränderten Augen. Wie so oft hatte sie sich beide Arme um den Leib geschlungen und blinzelte.
»Es tut mir so leid, Rose. Das ist alles meine Schuld. Alles meine Schuld.«
»Es war ein Unfall. Nicht wahr?«, sagte Rose, während sie in Pollys Augen nach Hinweisen suchte.
Polly stürzte auf sie zu und warf sich vor ihr auf die Knie. Ihre Hände umklammerten einander in Roses Schoß, und sie sah ihr in die Augen. »Natürlich war es das. Ein Unfall. Bitte, Rose, verzeih mir.«
Rose merkte, wie ihre Hand sich auf Pollys gefaltete Hände legte. Sie lag einfach so da, als wäre sie gar nicht mit Roses Handgelenk verbunden, sondern handelte aus eigenem Willen heraus. Rose konnte nicht sprechen, spürte aber einen immer größer werdenden Druck in ihrem Brustkorb. Wenn sie noch länger hier saß, würde sie platzen, und der Inhalt ihres Herzens würde über diese Frau spritzen, die ihr mit einem Mal so fremd vorkam.
Polly sackte in sich zusammen und vergrub ihr Gesicht an Roses Knien. »Es tut mir so leid, so furchtbar leid. Ich kann es gar nicht glauben«, schluchzte sie. »Du teilst alles mit mir, und ich mache so was. Was für ein Monster bin ich nur? Ich hab eine Freundin wie dich überhaupt nicht verdient.«
Rose musste mit ansehen, wie ihre Hand den Weg zu Pollys Hinterkopf fand und ihre Haare zu streicheln begann.
»Alles, was ich anfasse, geht kaputt. Ich hätte mich fast umgebracht. Ich konnte nicht mal meinen Mann am Leben halten. Und jetzt das. Ich bin verflucht, Rose. Verflucht.«
»Schhh«, sagte Rose, und sie wollte wirklich, dass Polly den Mund hielt. »Hör schon auf damit. Sieh hin.« Sie stand auf und drehte Polly herum, damit sie Flossie anschauen konnte. Polly schwankte, als Rose ihre Hand nahm und sie auf Flossies Brust legte. Der Anblick der dünnen, knochigen Finger mit ihren abgeknabberten Nägeln auf Flossies mit Schläuchen gespicktem Brustkorb war fast mehr, als Rose ertragen konnte. Sie holte tief Luft, und zur gleichen Zeit ging ein Schauer durch Polly.
»So klein. So unschuldig«, sagte Polly und zitterte.
So standen sie da, Roses Hand auf Pollys Hand auf Flossies Brust.
»Sie wird doch wieder gesund?«, fragte Polly irgendwann und zog den Arm zurück, um ihn wieder um den eigenen Körper zu schlingen.
»Die Aussichten sind gut«, antwortete Rose mechanisch.
Polly ließ sich auf Roses Stuhl sinken. »Ich kann es einfach nicht glauben. Es tut mir so leid.«
Rose kniete sich neben sie und nahm ihre Hand. »Das weiß ich doch«, hörte sie sich sagen.
»Gareth ist so wütend auf mich«, flüsterte Polly. »Er hat gesagt, wir müssen abreisen, und ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.« Ihre Unterlippe begann zu zittern, dann verzog sich ihr ganzes Gesicht. »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll, Rose.«
»Schhh, schhh«, machte Rose und hielt sie fest.
»Es tut mir so leid. Ich bin so dumm. Bitte, bitte, verzeihst du mir? Du bist der einzige Mensch, den ich noch hab, Rose. Ich brauch dich mehr, als du dir jemals vorstellen kannst. Wir kennen uns schon so lange, und es gibt nichts – nichts –, was wir nicht voneinander wüssten, und ich mag gar nicht daran denken, dass Gareth das alles wegwirft, indem er sich zwischen uns stellt und alles kaputtmacht. Ich weiß nicht, was ich dann tun würde …«
Rose sah Polly in die Augen.
»Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll, damit er seine Meinung ändert«, fuhr Polly fort. »Keine Ahnung, was ich ihm sagen würde …«
Hinter dem Flehen und den Schuldgefühlen sah Rose etwas aufblitzen, blank wie Stahl. War das Entschlossenheit oder noch etwas anderes?
»Was meinst du damit, Polly?«, fragte sie.
Polly packte Roses Hand und rieb die Narbe an ihrem Zeigefinger gegen ihre eigene. Sie wusste mehr über Rose als irgendjemand sonst. Sie wusste Dinge, die alles zerstören konnten, ihr ganzes Glück.
Rose schüttelte den Kopf und kniff mehrmals die Augen zusammen. Sie bildete sich etwas ein – oder nicht? Polly würde sie niemals verraten. Sie hatte es geschworen. Ein Blutsschwur. Sie waren beste Freundinnen. Sie waren wie Schwestern.
»Die Jungs sind ganz außer sich vor Sorge um Flossie und weil sie nicht wissen, was jetzt aus ihnen werden soll. Gareth hat mich vor ihnen angeschrien. Yannis hat Angst, Rose.
Weitere Kostenlose Bücher