Angsthauch
Ich weiß nicht, was jetzt wird.«
Rose musste aufstehen. Sie wusste, dass sie kein Risiko eingehen durfte. Ihr schwindelte. Ihr war sonnenklar, was auf dem Spiel stand.
»Hör zu«, sagte sie und wandte sich ab. »Das ist eine unglückliche Situation. Ich spreche mit Gareth, und dann sehen wir weiter. Geh jetzt, geh und warte in der Cafeteria. Ich rede mit ihm.« Sie war so müde, dass sie fast halluzinierte. Etwas Glattes, Rundes wie ein Kieselstein saß in ihrer Kehle fest und hielt das zurück, was ungesagt bleiben musste.
»Danke. Ich bin dir so dankbar. Du machst das Richtige, Rose, glaub mir.« Polly küsste sie auf die Wange, dann huschte sie davon.
*
Kurze Zeit später kam Gareth und brachte eine Tasse Tee für Rose mit.
»Nun?«, meinte er, als er sie ihr reichte.
»Nun«, sagte sie und sah zu ihm auf.
»Lass mich raten. Du hast ihr gesagt, du würdest noch mal mit mir reden.«
»Hmm.« Rose streichelte Flossies Bauch.
»Diese kleine Hexe. Sie hat dich vollkommen im Griff.«
»Hör zu, Gareth, ich bin genauso wütend wie du. Sie hat sich verantwortungslos und dumm verhalten. Aber trotz allem war es ein Unfall. Es ist lange her, dass sie sich um ein Baby kümmern musste – sie hat vergessen, was alles passieren kann. Und sie ist mit ihren Kräften am Ende; sie ist krank. Vielleicht bin ich mehr schuld daran als sie, weil ich sie mit Flossie allein gelassen habe. Ich hätte es besser wissen müssen.«
»Schhh«, machte Gareth und legte ihr einen Finger auf die Lippen.
»Ich hätte es besser wissen müssen.« Sie nahm seine Hand und hielt sie fest. »Mir geht es doch bloß um die Jungs. Können wir ihr nicht noch eine Chance geben, der Jungs wegen?«
Er seufzte und legte Rose den Arm um die Schultern. »Rose, Rose, Rose. Ich weiß gar nicht, was ich denken soll. Es ist alles ein totales Chaos. Ich war so wütend auf sie …« Er setzte sich und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Okay, ich rede mit ihr, dir zuliebe. Ich sage dir dann morgen, wie es gelaufen ist. Morgen. Jetzt im Moment müssen wir uns auf wichtigere Dinge konzentrieren.« Sein Blick ging wieder zu Flossie.
»Wie geht es Anna?«, wollte Rose wissen.
»Warum fragst du sie nicht selbst?«, ertönte eine Stimme hinter ihr.
Rose fuhr herum und sah Kate, die Anna an der Hand hielt.
Anna bemühte sich tapfer, ein fröhliches Gesicht zu machen, obwohl ihr der Anblick der vielen winzigen verkabelten Menschlein merklich zusetzte.
Rose sprang auf und lief zu ihrer Tochter. Sie drückte sie so fest, dass es fast weh tat.
»Danke, Doc«, sagte Gareth, stand auf und küsste Kate auf die Wange.
»Keine Ursache. Ich musste meine Kinder sowieso von der Schule abholen. Eins mehr hat keinen Unterschied gemacht.«
»Ich weiß gar nicht, was wir ohne dich machen würden«, erklärte Rose.
»Hier, für dich«, sagte Anna und überreichte ihrer Mutter eine Schachtel mit Cadbury’s Roses. »Es steht sogar dein Name drauf!«
Es war ein altbekannter Witz, der jede Weihnachten, jeden Geburtstag und jeden Muttertag fällig wurde und der Rose jedes Mal zum Schmunzeln brachte.
»Danke, mein Schatz.« Erneut zog sie Anna an sich. Doch die hielt es nicht lange aus, sie machte sich zu große Sorgen um ihre Schwester. Sie löste sich aus der Umarmung und trat an Flossies Kasten.
»Kann ich sie anfassen?«, fragte sie.
»Wenn du saubere Hände hast und ganz vorsichtig bist.«
Rose und Gareth sahen zu, wie Anna einen Finger an Flossies Wange legte und dann den Kasten direkt über Flossies Kopf küsste.
»Ich hab dich lieb, Floss. Werd schnell wieder gesund. Ich kann’s gar nicht erwarten, dass du endlich anfängst zu laufen, dann können wir ganz viel Spaß zusammen haben«, flüsterte sie. »Kann sie mich hören?«, wollte sie von Rose wissen.
»Bestimmt«, antwortete Rose, so ruhig sie konnte. Der Kieselstein, der sich vorhin während des Gesprächs mit Polly in ihrem Hals festgesetzt hatte, wurde immer größer. Nicht mehr lange, dachte sie, und ich explodiere.
Kate verabschiedete sich, um noch kurz mit den Schwestern zu sprechen. Gareth und Anna ließen sich an Flossies Bett nieder. Gareth überreichte Rose den Rucksack.
»Warum legst du dich nicht in die Wanne? Ruh dich ein bisschen aus, wir zwei halten hier solange die Stellung.«
Sein letztes Wort brachte ein flüchtiges Bild des vergangenen Tages zurück, als sie, nichts Böses ahnend, durch die grasüberwachsenen Ruinen getobt waren. Wie sehr sie sich wünschte, wieder dort zu
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