Angstschrei: Thriller
Papiers und das gelegentliche Knarren des Hauses, das an seinem wackeligen Fundament rüttelte. McCabe stellte sich vor, wie das ganze Ding mit ihnen dreien von der Klippe ins Meer stürzte. Draußen war es windstill. Kein Rauschen der spiegelglatten See war zu hören. Nicht einmal das Ticken einer Uhr. Nur das Knarren.
» Suchst du vielleicht hiernach?« Der unvermittelte Klang von Jacobis Stimme ließ McCabe zusammenzucken. Jacobi hielt ihm ein spiralgebundenes Heft mit einem durchsichtigen Plastikdeckblatt hin. McCabe nahm es in die Hand. Auf der ersten Seite waren nur Titel, Autor und Datum zu lesen: » Eine Untersuchung der prophetischen Tradition im Alten Testament. John Kelly. 02.Mai1994.«
Er schlug das Heft auf und begann zu lesen. Auf Seite 21 entdeckte er genau das, wonach er gesucht hatte. Ein kursiv gedrucktes Zitat: Alle Sünder in meinem Volk sollen durchs Schwert sterben, die da sagen: Es wird das Unglück nicht so nahe sein noch uns begegnen. Darunter folgte, wie es aussah, eine längere wissenschaftliche Erörterung der Frage, wie und warum Gott an denen Rache nehmen würde, die seine Vorschriften missachteten. McCabe starrte das Zitat an. Dass er es hier schwarz auf weiß vor sich hatte, kam ihm vor wie das Tüpfelchen auf dem i. Kelly war schuldig. McCabe brauchte nur noch ein Motiv und ein paar eindeutige Beweise, mit denen er die Geschworenen überzeugen konnte. Jacobi stand von seinem Stuhl auf und blickte McCabe über die Schulter.
» Dann ist Kelly also euer Messerstecher, hm?«
» Sieht ganz so aus.«
Die Stille im Raum wurde von der Ouvertüre aus Wilhelm Tell unterbrochen, und zwar von dem Teil, der auch als Titelmelodie für die Fünfzigerjahre-Fernsehserie The Lone Ranger gedient hatte. Tasco drückte eine Taste an seinem Handy. Die Musik brach ab. » Tasco«, sagte er ins Telefon. » Ja? Okay. Gut. Muss ich kurz aufschreiben.« Er holte ein kleines Notizbuch und einen Stift aus seiner Manteltasche und machte sich eine Notiz. » Danke, Andrea. Ja, Ihnen auch.« Er schaute McCabe an. » Das war Verizon.«
» Kellys Passwort?«
» Ja.«
» Wie lautet es?«
» Eine Zahlenkette.« Er las von seinem Zettel ab: » 726288279.«
» Das ergibt › Sanctuary‹.«
» Was?«
» Die Zahlen. Auf einer Telefontastatur ergeben sie das Wort › Sanctuary‹. Das hätte ich mir auch schon vor einer Stunde zusammenreimen können. Ich werde wohl langsam alt.«
Sie gingen ins Schlafzimmer. McCabe griff nach dem Hörer und wählte die Nummer der Verizon-Mailboxabfrage. » John Kelly«, sagte eine männliche Stimme.
Dann ertönte eine weibliche Computerstimme. » Bitte geben Sie Ihr Passwort ein.«
McCabe buchstabierte das Wort S-A-N-C-T-U-A-R-Y .
» Sie haben eine neue Nachricht. Wenn Sie die Nachricht jetzt abhören wollen, drücken Sie bitte die Eins.«
McCabe drückte die Eins.
» Eine neue Nachricht. Anrufer unbekannt. Empfangen Dienstag, 20. Dezember, 18.44 Uhr.«
» Ich weiß genau, was du getan hast, du Arschloch. Damit kommst du nicht durch, das garantiere ich dir. Wir müssen uns unterhalten. Und versuch ja nicht, mich zu ignorieren. Ich probier’s auch noch auf deiner anderen Nummer.« McCabe wurde bewusst, dass er Lainie Goffs Stimme noch nie gehört hatte. Aber trotzdem war er sich ganz sicher, dass die Nachricht von ihr stammte.
» Um die Nachricht noch einmal zu hören, drücken Sie die Eins.«
Er drückte die Eins. » Ich weiß genau, was du getan hast, du Arschloch. Damit kommst du nicht durch, das garantiere ich dir. Wir müssen uns unterhalten. Und versuch ja nicht, mich zu ignorieren. Ich probier’s auch noch auf deiner anderen Nummer.« Ich weiß genau, was du getan hast, du Arschloch. Was genau hatte Kelly denn getan? War das das Motiv, nach dem McCabe die ganze Zeit gesucht hatte? Er reichte das Telefon an Tasco weiter, damit er sich die Nachricht ebenfalls anhören konnte.
Die Haustür ging auf und wieder zu. Bowman rief: » Hey, McCabe! Wo stecken Sie denn?«
» Hier.«
Bowman steckte seinen Kopf zur Schlafzimmertür herein. » Ziehen Sie Ihre Jacken an«, sagte er. » Wir haben was gefunden. Das sollten Sie sich besser anschauen.«
Es war immer noch dunkel, und McCabe konnte zuerst gar nichts sehen. Erst als Bowman den Strahl seiner Taschenlampe direkt darauf richtete. Eine menschliche Hand ragte aus dem schmelzenden Schnee. Darunter waren etwa fünfzehn Zentimeter Arm zu sehen, dürr und mager und über und über mit blauen Tätowierungen bedeckt. Jung und
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