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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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verfolgt?«
    Dieses ganze Gespräch geht mir so auf den Nerv. Das alles zu wissen, war wie ein Stein im Schuh. Das alles jetzt zu erzählen, ist wie ein Striptease im schlimmsten Umkleidekabinen-Neonlicht. Julchen sieht jede Delle auf meiner Seele.
    »Ich habe ihn nicht verfolgt! Ich habe ihn gesucht. Nur kurz. Dann wurde mir klar, dass er abgehauen ist. Dass ich ihn nerve. Und ein paar Tage später kam die erste Mail.«
    »Von Kaktus?«
    »Klar. Von wem sonst?«
    »Hat er mit Kaktus unterschrieben?«
    Draußen tönt eine Dreitonhupe. Philipps Erkennungszeichen.
    »Ist es schon so spät?« Julchen guckt erschrocken auf die Uhr und rafft ihre Sachen zusammen. »Wir sprechen morgen weiter.« Sie lässt ihren Bruder nur ungern warten - wenn er schon so nett ist, um sie abzuholen. Aber auch andere Mädels würden Philipp wohl ungern warten lassen.
    Sie drückt mich kurz.
    »Linda, wir suchen den Kaktus und wir werden ihn finden. Ich setze alles daran, damit du nicht mehr so fürchterliche Ringe um die Augen hast. Du siehst schon aus wie ein Koalabär.«
     
    Ich bringe Julchen noch zur Tür. Neben der Haustür lehnt das Rennrad von Paul. Schade. Ich hatte überlegt, zu Luise hochzugehen. Kann ich mir auch klemmen. Ich schlendere dafür bei meinem Opa vorbei. Ich brauche jetzt ganz dringend etwas Ablenkung.

    »Hallo WG-Mitbewohner«, begrüße ich ihn.
    Er guckt nicht hoch, hebt nur kurz die Hand. Ich weiß, was das bedeutet. Er ist in den Endzügen eines Sudokus, steht kurz vor der Lösung und darf jetzt nicht gestört werden. Ganz konzentriert sitzt er da, das Rätselheft direkt unter seiner Schreibtischlampe. Den angespitzten Bleistift in seiner knochigen Hand. Ich habe es noch nicht bereut, zu ihm ins Untergeschoss gezogen zu sein. Ich liebe sogar den Alte-Männer-Duft morgens im Bad und das Aroma der Tee-Aufgüsse in unserer kleinen Küche. Das Zimmer, in dem ich jetzt wohne, war das Zimmer meiner Oma. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Früher fand ich es ganz komisch, dass meine Großeltern nicht ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer hatten, sondern jeder einen Raum für sich. Später fand ich das total modern. Ich glaube, es hatte was damit zu tun, dass mein Großvater der absolute Tagmensch ist und meine Oma eine Nachteule war. Richtig wach wurde die eigentlich immer erst nach ihrem Mittagsschlaf. Dafür konnte die bis spät in die Nacht Karten spielen, quatschen, fernsehen. Mein Opa ist wie ich. »Ihr beide seid das Morgenrot«, hat meine Ma schon oft gesagt.
    Ich hatte erst Skrupel, in das alte Zimmer von meiner Oma zu ziehen. Ich wollte meinem Opa damit ja nicht zu nahe treten. Als ich das mal vorsichtig angesprochen habe, hatte er nur abgewunken.
    »Es ist doch gut, dass Martha vor mir gestorben ist. Hätte ich sie hier alleine lassen sollen? Das hätte ich mir nie verziehen. Jetzt wartet sie da oben auf mich und ist da gut aufgehoben. Wahrscheinlich fände sie das sogar ganz gut, wenn du hier unten ein bisschen auf mich aufpasst.«
    Endlich ist das letzte Kästchen in dem Quadrat ausgefüllt.
    »Hallo, Kind. Hattest du Besuch?«

    »Julchen war da.«
    »Und diese alberne Autohupe gehörte wahrscheinlich zu ihrem Freund, der seine Schöne jetzt zu einer Spritztour abgeholt hat. Warum haben sie dich nicht mitgenommen?«
    Spritztour. Das klingt für mich nach alten Schinken mit Peter Kraus, die dauernd im ZDF laufen.
    »Das war ihr Bruder. Und die Hupe ist cool.«
    »Ach so.«
    Mein Opa schmunzelt mich durch seine dicken Brillengläser an. Mit denen könnte man im Zweifelsfall wahrscheinlich auch gut ein Feuer machen. Sie werden von Jahr zu Jahr dicker und trotzdem werden seine Augen schlechter. Der Fernseher meines Opas ist in Wirklichkeit eher sein Radio.
    Ich muss ihn unbedingt was fragen: »Du, Opa? Letztens war doch ein Mitschüler von mir hier.«
    »Wann?«
    »Na, als ich mit Ma und Pa und Luise im Kino war. Da hat der doch hier gewartet und ist dann wieder gegangen.«
    »Ach der.«
    »Du, sag mal, wie sah der eigentlich aus?«
    Mein Opa schaut mich komisch an, so, als verstünde er die Frage nicht.
    »Opa, überleg doch mal bitte … War das wirklich ein Mitschüler? Oder war der schon älter? Und hatte der irgendwas Besonderes?«
    Mein Opa sieht mich nachdenklich an. Überlegt er jetzt, ob ich nicht ganz richtig ticke? Weil ich ihn frage, wie mein Mitschüler Lennart aussieht? Oder grübelt er, weil er sich nicht mehr erinnern kann?
    »Er hatte eine tiefe Stimme. Und ich glaube, eine Kapuze auf. Mehr

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