Angstspiel
fährt er los. »Und überhaupt - wer braucht heute noch Briefträger? Geht doch alles per Mail oder SMS viel schneller.«
Mir ist in Leggins, Skihose, dickem Pulli, Daunenjacke kalt. Wie meint Philipp das? Weiß er was? Hat Julchen ihm etwa alles erzählt? Das wäre mir total peinlich.
Ich starre ihn von der Seite an. Bis er kurz zu mir rüberguckt. Lächelt.
Ich schaue schnell nach unten. Ich hätte einfach nicht so einen saudoofen Spruch machen sollen. Postbote! Wie albern und frech. Philipp ist nicht irgendein Typ aus unserer Stufe. Philipp ist - einfach Philipp. Selbst wenn Julchen total hässlich und hinterhältig wäre, wenn sie fiesen Mundgeruch hätte oder dauernd furzen würde, sie hätte trotzdem genug Freundinnen. Allein wegen ihres Bruders.
Mir wäre ja lieber, er würde nicht so gut aussehen. Dann wäre es mir auch nicht so peinlich, neben ihm im Schlepplift zu hängen. Julchen hat einfach bestimmt, dass Philipp mit mir liftet, weil ich auf Skiern aussehe wie eine kleine Ente, die zum ersten Mal auf ihren Watschelfüßen stehe. Wenn Julchen so was sagt, meint sie das nicht böse. Sie will einen nicht beleidigen. Olga und Philipps Freunde Thilo und Kai, die inzwischen zu uns gestoßen sind, befinden sich bereits ebenfalls auf dem Weg nach oben.
Als ich einmal das Gleichgewicht verliere und fast aus dem Lift kippe, legt er den Arm um mich. »Du musst keine Angst haben. Ich passe schon auf dich auf.«
Ich würde am liebsten direkt in seinen Overall kriechen. Ich bin sicher, da hätte ich wirklich zum ersten Mal seit drei Ewigkeiten das Gefühl, dass mir nichts und niemand auf der Welt etwas anhaben kann. Ich versuche ihn anzulächeln und bekomme doch nur ein schiefes Gesicht hin.
Als wir uns irgendwann zu sechst zum Mittagessen ins Restaurant setzen, bin ich ganz überrascht, immer noch nichts gebrochen zu haben. Ich bin ein paar Mal gestürzt, zwei Mal auch aus dem Lift gekippt, aber es hat auch Spaß gemacht. Wir haben Merlin auf der Piste getroffen und er hat ganz erstaunt gefragt, seit wann ich denn Skilaufen kann. Wir mussten alle lachen und Philipp hat geantwortet: »Kann sie ja gar nicht. Sie tut nur so.« Jetzt hier im Restaurant fühle ich mich, als würde ich seit Jahren in diesen Skibetrieb und zu dieser Clique gehören. Julchen bestellt für alle Germknödel.
»Das gehört dazu«, bestimmt sie.
Ich verdrücke einen riesigen Klumpen Teig mit Mohn und Butter und bin sicher, dass der Klops in meinem Bauch auf Volleyballgröße aufquellen wird. Egal. Nach dem Mittagessen schnallen wir die Skier ohnehin nicht mehr unter. Wir gehen auf die Rodelbahn, stürzen uns auf überdimensionalen Autoreifen eine Eisbahn runter. Der Hammer. Der Witz ist natürlich, sich dabei zu rammen, am besten, sich aus der Spur zu katapultieren. Als Philipp mit seinem Helm gegen mein Bein donnert, bin ich kurzfristig überzeugt, dass er meine Kniescheibe zerschmettert hat. Blitzschnell wirft er mich auf den Boden und fängt an wie wild Schnee auf mein Bein zu schaufeln. Wie ein Hund, der einen Fuchsbau entdeckt hat.
»Willst du mich unter dem Schnee verscharren?«, frage ich ihn. »Ich bin noch nicht tot, nur mein Bein muss amputiert werden.« Ich beginne zu lachen und vergesse bereits, wie weh mein Knie noch tut.
»Das Bein muss gekühlt werden«, behauptet Philipp und schaufelt weiter wie ein Hund zwischen seinen Beinen durch. Ich kriege auch jede Menge Schnee ins Gesicht.
»Das heißt doch nicht, dass ich deswegen an Unterkühlung verenden muss.«
»Ich dachte, das macht dir nichts. Du bist doch eh immer so kühl.«
Er mustert mich und mir wird trotz des ganzen Schnees auf mir und um mich total heiß.
Ich bin ziemlich froh, dass Julchen in dem Moment mit ihrem Autoreifen zwischen uns durchrast.
»Macht ihr eine Schneeballschlacht?«, ruft sie und Philipp bekommt schon die erste Kugel von ihr direkt in den Magen.
Nach einer weiteren halben Stunde schwenken wir Mädchen Olgas Schal. Der ist weiß und wird als Zeichen der Kapitulation akzeptiert. Gegen Philipp, Thilo und Kai haben wir keine Chance. Ich bin patschnass, sogar mein Slip und mein Unterhemd sind nicht mehr trocken. Und trotzdem: Ich weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal so leicht gefühlt habe. Und das mit Skischuhen und nasser, schwerer Daunenjacke.
Eigentlich hatte ich gehofft, dass Philipp mich auch wieder nach Hause fährt. Tut er aber nicht. Er und seine Schwester haben beschlossen, dass wir alle bei ihnen noch Pizza
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