Angstspiel
Du hast ihn doch gesehen. Nach der Familienfeier.«
Sie lacht unlustig und mit viel Rotz im Hals.
Natürlich könnte ich jetzt behaupten, dass Paul an dem Abend im »Fusion« total genervt aussah. Dass er sich überhaupt nicht amüsiert hätte. Dass die Leute, die bei ihm standen, extrem uncool waren, wie Cousins vom Land. So richtig peinlich. Wenn ich mich total anstrengen würde, könnte ich auch lügen, dass Paul sich gefreut habe, als er mich sah, weil er für einen Moment die Hoffnung gehabt habe, dass Luise auch da sei. Ich schaffe das nicht. Ich will Luise nicht in warmen Worten baden, weil ich ja ahne, dass die kalte Dusche kommt.
»Warum glaubst du, dass es vorbei ist?«
»Ich habe ihn angerufen. Ein Mädel ist an sein Handy gegangen. Hat gesagt, ich soll einfach gleich noch mal anrufen.«
Ich kann nicht anders. Ich muss ihr Hoffnungen machen. Auch weil ich sehe, dass sie kaum noch Tempos hat.
»Aber das heißt doch nichts. Vielleicht ist er gerade in einer Kneipe und die Freundin von irgendeinem Kumpel
ist an das Handy gegangen, weil Paul gerade pinkeln ist. Kann doch sein.«
»Paul ist krank. Wir wollten heute Abend eigentlich ins Kino, aber er hat abgesagt. Ich habe noch vorgeschlagen, ihm Erkältungstee und Halsbonbons vorbeizubringen. Wollte er aber nicht. Natürlich nicht.«
Sie lacht wieder gekränkt.
»Das Essen ist fertig«, brüllt meine Mutter wieder. Schon leicht vorwurfsvoll.
»Komm, lass uns runtergehen. Sonst kocht sie nie wieder was«, lenke ich ab.
»Dann sollten wir auf gar keinen Fall gehen«, kontert Luise.
Direkt nach dem Essen gehe ich wieder mit hoch zu ihr.
Sie legt sich gleich wieder aufs Bett. Ich lege mich daneben. Wir starren beide einem fetten Engel ins Gesicht. Luise hat den vor einiger Zeit selber dahin gemalt. Einen blaugrauen Himmel, pralle weiße Wolken und hinter einer guckt dieser Engel hervor. Er sieht sehr feist und sehr frech aus. Wenn man genau hinsieht, erkennt man sein Piercing und ein tätowiertes Herz auf dem Oberarm.
»Ruf ihn einfach noch mal an«, sage ich irgendwann.
»Du spinnst wohl. Ich laufe ihm doch nicht hinterher.«
»Aber sonst machst du dir den ganzen Abend einen Kopf. Du wirst nicht schlafen können, dich in die absoluten Horrorvorstellungen reinsteigern. Irgendwann, wenn du kurz vorm Durchdrehen bist, wirst du doch kurz einnicken, aber schnell wieder mit Herzrasen aufwachen und dich weiter quälen. Morgen früh wirst du völlig erledigt sein. Du wirst nichts essen können und so kacke aussehen, dass Paul wirklich einen Grund hätte, an seiner Liebe zu dir zu zweifeln.«
»Das hört sich ja fast so an, als hättest du das alles schon erlebt.«
Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass ich genau weiß, wie Angst sich anfühlt. Wie sie in der Dunkelheit immer größer wird. Dass sie immer lauter in einem lärmt, je leiser es drumrum wird. Sage ich aber nicht.
»Ruf ihn einfach an. Was spricht denn dagegen? Du bist seine Freundin, nicht irgendein Girl, das ihm hinterherläuft. Wahrscheinlich hat ihn irgendein Kumpel bequatscht, noch rauszugehen. Du weißt doch, wie Jungs sind. Dann kommt so ein blöder Spruch wie ›Stell dich nicht an wie ein Mädchen‹ und schon sind sie wieder fit.«
Ich weiß gar nicht, ob ich möchte, dass sie sich vertragen. Dass Paul und Luise gleich wieder kichernd und säuselnd an ihren Telefonen hängen. Ich bin echt kein Fan von Paul. Er ist mir zutiefst unangenehm. Ich finde eigentlich auch, dass Luise etwas Besseres verdient hätte. Allein optisch schon. Paul ist sogar ein oder zwei Zentimeter kleiner als Luise. Seit Wochen kann sie nur in superflachen Schuhen rumlaufen. Könnte mir eigentlich recht sein, weil ich mir seitdem permanent die geilsten Treter bei ihr ausleihen kann. Aber trotzdem werde ich wütend darüber, wie klein Luise sich für einen Typen macht.
»Und wenn wieder das Mädel rangeht?«
»Dann fragst du sie, ob sie kein eigenes Telefon hat oder ob sie die persönliche Assistentin von Paul ist.«
»Und wenn sie dann sagt, dass sie Pauls Freundin ist? Was mache ich dann?«
Ich überlege. Luise ist so verzweifelt.
»Dann sagst du ganz fröhlich: ach wie schön, dass Paul sich schnell mit irgendjemandem getröstet hat. Er war ja so fertig, nachdem ich mich von ihm getrennt hatte.«
Ich finde meine Idee ganz gut. Schön gemein.
»Das schaffe ich nicht.« So ein Satz aus Luises Mund hat Seltenheitswert. »Kannst du da nicht mal anrufen?«
Sie klingt richtig verzagt. Fast schüchtern.
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