Angstspiel
Schneidersitz vor mich hin. All ihre Wut scheint jetzt schon aufgebraucht. Es war nur ein kurzes Aufflackern. Jetzt ist das Feuer schon wieder aus. Ich höre ihr kehliges Schluchzen.
»Ich hätte es nicht tun sollen«, sagt sie leise.
»Was? Ihn anrufen? Gibst du dir jetzt etwa die Schuld? Spinn doch nicht rum.«
»Halt den Mund. Du hast keine Ahnung.«
Sie klingt so verletzt.
Ich ahne es. Ahne, was sie nicht hätte tun sollen. Sie hat mit ihm geschlafen. Ich spüre es. Ich soll sie doch trösten, hat Paul gesagt. Aber wie? Ich weiß nicht, was jetzt in ihr vorgeht.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen. »War es denn schön?«
Sie schüttelt ganz leicht den Kopf.
»Warum hast du es dann gemacht?«
Sie schaut zu mir hoch. Völlig verzweifelt.
»Weil ich dachte, dass ich das will.« Sie spielt mit ihren Fingern. »Ich wollte ihm nah sein«, fährt sie irgendwann fort.
Ich bin ein bisschen angewidert und neugierig.
»Aber dann fand ich es peinlich. Es war irgendwie zu nah. Aber ich konnte nichts sagen. Danach war es dann zum Glück richtig schön. Paul war echt lieb.«
»Habt ihr wenigstens verhütet?«, frage ich vorsichtig.
»Klar. Er hat ein Kondom genommen. Ging ganz einfach.«
Wir denken beide das Gleiche. Paul hat nicht zum ersten Mal ein Kondom benutzt.
7
E s ist klar, dass ich in dieser Nacht bei Luise schlafe. Ich halte sie von hinten umschlungen. Ganz kurz flackert ein Gedanke in mir auf: Ich habe mein Handy zerstört, bin nicht mehr zu erreichen. Und genau in dem Moment trennt Paul sich von Luise. Was hat er gesagt? Ich sei überflüssig? Warum findet er mich so scheiße? Jetzt könnte ich mich wieder an Luise kletten. Warum sagt er das? War er eifersüchtig auf mich? Hat er mich deswegen gejagt? Und so wie er bei uns aus und ein gegangen ist, konnte er genüsslich beobachten, wie es mir schlechter ging. Hat er sich von Luise getrennt, weil es ihm keinen Spaß mehr machte, mich zu verfolgen? Hört er jetzt damit auf, weil er sich eh von Luise getrennt hat? Oder spinne ich gerade total, weil ich so sehr hoffe, dass es endlich aufhört? Wieso kann ich nicht einfach Schluss machen. Schluss mit meinem Feind?
Ich wache auf, ehe der Tag anbricht. Luise sieht selbst im Schlaf unglücklich aus. Ich würde gerne über ihre Stirn streicheln. Über die zusammengezogenen Brauen. Aber vielleicht baut sie das Gefühl dann in ihren Traum ein und Paul schleicht sich wieder in ihren Kopf. Das will ich nicht. Immerhin - sie kennt ihren Peiniger. Geht es ihr damit besser? Zumindest geht es ihr nicht gut genug, um zur Arbeit zu gehen. Sie sieht richtig krank aus. Wirklich erbärmlich. Ich lasse sie nur ungern alleine zu Hause, aber heute habe ich eine Doppelstunde Mathe. Da kann
ich mir definitiv keine Fehlstunde erlauben. Ich raffe ja schon kaum, um was es geht, wenn ich angestrengt zuhöre. Als ich nach Hause komme, schläft Luise noch. Oder wieder. Vielleicht tut sie auch nur so. Mit Julchen habe ich abgemacht, dass ich heute Nachmittag mit Ali spazieren gehe. Es ist inzwischen fast ein Ritual geworden, ich liebe diesen Hund, der so gut zuhören kann. Eigentlich könnte ich Lu mitnehmen. Ein bisschen frische Luft würde ihr guttun. Aber sie schläft weiter tief und fest und ich ziehe dann doch allein los. Bald kann ich wieder öfter mit Luise rausgehen. Sie hat mir gefehlt in den letzten Wochen. Und eigentlich gefällt es mir ganz gut, dass sie gerade selber wackelt. Dass sie mal wankt. Ich weiß, wie fies das ist. Aber ich kann meine Gedanken nicht umlenken. Hat die Angst mich schon so weit? Dass ich mich heimlich freue, wenn es anderen schlecht geht? Hat die Angst mein wahres Ich freigelegt?
Julchen ist nicht da, sie hat aber Frau Rohmann einen Zettel hingelegt, dass ich Ali abhole. Es hat sich wirklich noch nie jemand so gefreut, mich zu sehen, wie dieser Hund. Er wedelt mit dem ganzen Popo. Wir gehen wieder Richtung Wald. Es riecht nach Herbst und ich atme tief die würzige Luft ein. Ich sehe ihm zu, wie er mit der Nase am Boden klebt, irgendeine Witterung aufnimmt. So würde ich auch gerne eine Fährte verfolgen. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich heute nicht so sicher wie sonst, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin. Immer wieder drehe ich mich abrupt um, weil ich das diffuse Gefühl habe, dass da jemand ist. Ich sehe niemanden und frage mich, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen ist: die Gespenster. Ich sehe Gespenster. Bin ich wirklich bald reif für die Klapsmühle? Vielleicht habe ich mich einen
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