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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Neben mir und neben dem Leben.
    Kaktus hat es mir so leicht gemacht. Auch er wirkte gleichzeitig so kratzig und so zart. So wie ich mich oft fühle. Er gab zu, wie verzweifelt er oft sei. Weil er sich einsam fühle und so müde. Auf der anderen Seite liebe er aber seinen Panzer, der ihn nach außen schützt und es drinnen schön warm hält. Ich wusste genau, was er meint. Ich beobachte Julchen, versuche zu erahnen, was sie wohl gerade denkt. Aber sie hält den Kopf gesenkt, konzentriert sich auf die Mails, macht sich ab und zu Notizen. Sie schreibt Begriffe wie »Sehnsucht«, »Flugzeuge«, »Hörspiele« auf.
    Am peinlichsten ist, dass auch Julchen vorkommt - in den Mails. Nicht namentlich, aber sie wird sofort wissen, dass sie gemeint ist. Und sie wird gleich erfahren, wie wichtig sie für mich ist. Wie beeindruckt ich von Anfang an von ihr war, wie ich mitgerissen wurde von ihrer guten Laune, ihrem Tatendrang.
    »Sie verschlingt mich wie ein Sog. Ein Sog aus Lachen und Leichtigkeit und ich hoffe so sehr, dass sie mich nicht so schnell wieder ausspuckt«, habe ich über Julchen geschrieben. Wenn ich das jetzt so lese, fühle ich mich wie ein Hündchen, das aus dem Tierheim geholt wurde und sich nun über jeden dahingeworfenen Fleischbrocken freut.
    Komisch, heute klingt »Sie verschlingt mich wie ein Sog« nicht mehr so nett.

    Auch die Passagen über sich selber liest Julchen scheinbar unberührt. Ganz konzentriert studiert sie Satz für Satz, lässt sich nichts anmerken. Als sie das letzte Blatt umgedreht hat, guckt sie mich ganz ruhig an. Sie macht sich nicht lustig über mich und meine Naivität. Sie verdreht nicht die Augen über meine Dummheit. Sie macht keinen dummen Spruch über meine Ängste. Das rechne ich ihr hoch an. Aber natürlich wird sie denken: »Wie kann man nur so blöd sein?«
    Eine Frage, auf die ich schon seit Wochen vergeblich eine Antwort suche.
    »Und das war es dann«, stellt sie fest und deutet auf das letzte Blatt.
    »Ja. Und nein. Zumindest im Chat. Da hat er sich nicht mehr blicken lassen. Und ein paar Tage später fing dieses gemeine Spiel an.«
    »Und bist du auch ganz sicher, dass er im Chat nicht mehr war?«, vergewissert sich Julchen.
    »Nein, er war raus. Sein Profil war abgemeldet. Ich habe sogar ein paar Leute angequatscht, mit denen er sich auch ein paar Mal unterhalten hat. Aber alle haben geblockt. Als hätte er allen gesagt: »Haltet mir bloß diese dumme Kuh vom Hals.«
    Julchen nimmt meine Hand, die auf dem Tisch zwischen uns lag. Mir ist es ein bisschen peinlich, dass die Hand etwas klebrig ist. Das ist mir einfach alles so peinlich. Und da kriege ich nun mal nasse Hände. Schnell fange ich wieder an, Ali zu streicheln, suche seinen warmen Blick.
    Wahrscheinlich tue ich ihr unendlich leid. Es war ja nicht schwierig, zwischen den Zeilen zu lesen, dass ich mich schon ein bisschen verliebt hatte. In ein schönes Bild, das mir ein Arschloch hingehalten hat. Ob er wohl von Anfang an vorhatte, mich erst mit weichen Worten zu
ködern, um dann umso hinterhältiger loszuschlagen? Oder ist er erst auf die Idee gekommen, nachdem er sich das Foto von mir im Netz angesehen hatte? Und vor allem: Was wird er sich noch ausdenken? Und warum? Warum will er mich so fertigmachen? An den Rand des Wahnsinns bringen. Oder noch ein Stückchen weiter. Törnt ihn das an? Geilt er sich daran auf? Oder habe ich mir - ohne es zu wissen - einen Feind gemacht? Womit könnte ich jemanden so verletzt haben?
    Julchen haut mit der flachen Hand auf den Stapel. »So!«
    »So?«
    »Jetzt wird dieses Arschloch was erleben.«
    »Ja?« Ich würde ihr so gerne glauben.
    »Ja! Jetzt habe ich Futter. Jetzt weiß ich, welche Köder ich ihm hinwerfen muss. Da wird er nicht widerstehen können.«
    Sie hört sich an, als wüsste sie, was sie tut. Tun will. Sie steht mit einem Ruck auf. Schnappt sich ihre Tasche. Sie wirkt so bestimmt.
    Als sie auf dem Schreibtisch die kläglichen Reste von meinem Handy und die zerschnittene Karte liegen sieht, nickt sie nur.
    In der Tür dreht sie sich noch mal um.
    »Und besorg dir schnell ein neues Handy, damit ich dich erreichen kann, wenn wir auf die Piste wollen. Du musst dich nicht mehr einschließen.«
     
    Als ich sie und Ali zur Tür bringe, höre ich meine Ma von oben nach mir rufen. Sie hat sich in meinem alten Zimmer neben Luise eine Bastelstube eingerichtet. Da bereitet sie auch ihren Unterricht vor. Offiziell ist sie Sonderpädagogin für den Kunst- und Textilunterricht.

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