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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Kurzschlüsse. Ich bin elektrisiert.
    »Also die Nummer mit dem Sexbild war echt der Hammer. Da musste ich ja was machen.«
    Bei dem Wort »Sexbild« gucke ich kurz nach rechts und links. Außerdem: Warum fängt sie jetzt beim Urknall an? Ich unterbreche sie aber nicht.
    »Also habe ich mich zwei Nächte lang im Chat rumgetrieben. Du schuldest mir echt zwei Pfund Kaffee. Und gestern Nacht hat er angebissen. Er nennt sich jetzt ›Ghostwriter‹, aber ich bin absolut sicher, dass er sich vorher als ›Kaktus‹ da rumgetrieben hat.«
    Simon kommt von hinten, schiebt mich einfach zur Seite.
    »He, Julchen, hast du Philo gemacht? Gib mal.«
    »Du störst. Mach dein Philosophie-Scheiß alleine«, höre ich mich sagen.
    Simon ist völlig überrascht. Ich bin es auch. So kennen wir mich beide nicht. Er hebt die Hände, als hätte ich eine Knarre in der Hand, und geht rückwärts zurück.
    »Wieso glaubst du, dass er es ist? Hat er so was angedeutet?«

    »Natürlich nicht.«
    »Ich störe ungern, aber ich möchte jetzt mit dem Unterricht anfangen, wenn Sie nichts dagegen haben.« Der Neufert steht schon am Pult.
    Ich würde ihm am liebsten sagen, dass ich durchaus was dagegen habe. Dass Politik das Allerletzte ist, was ich jetzt brauche. Dass der Zusammenbruch der Weimarer Republik ein Scheiß ist gegen das, was gerade in meinem Leben passiert. Ich halte das Maul und gehe zu meinem Platz.
    Womit wohl hat Julchen Kaktus aus der Deckung geholt?
    Die nächsten fünfundvierzig Minuten ziehen sich wie ein Kaugummi unterm Schuh. Schlimmer. Wie »Sommer-Wetten-dass« mit zweistündiger Überziehungszeit. Danach stehen zwei Freistunden auf dem Plan. Ich zerre Julchen an der Hand ins Café um die Ecke.
    Sie hält mir ihren Latte macchiato hin: »Los, lass uns anstoßen. Darauf, dass wir das Schwein aus der Reserve gelockt haben.«
    Süß von ihr, dass sie »wir« sagt.
    Dann erzählt sie. Endlich.
    »Ich habe die ganzen Unterlagen noch mal zu Hause in Ruhe studiert. Viel hat der Typ ja echt nicht von sich verraten«, sagt Julchen. In meinen Ohren klingt das wie: »Du hast den ja echt ganz schön zugequatscht.«
    »Aber ein bisschen was über ihn habe ich doch rausbekommen. Ist dir mal aufgefallen, dass er ganz oft zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr im Chat war? Außerdem hat er irgendwann mal was von Bogenschießen erzählt. Und so ein bisschen poetisch angehaucht ist der ja auf jeden Fall auch«, fasst Julchen zusammen.
    »Bogenschießen?«

    Konnte ich mich nicht mehr dran erinnern. Ich sehe mich plötzlich im Wald sitzen. Als mir Ali plötzlich abgehauen war. Ich saß da heulend und starr und wäre das perfekte Ziel gewesen. War er vielleicht in der Nähe gewesen? Mit dem Bogen im Anschlag?
    »Eigentlich hat er schon vorgestern angebissen«, sagt Julchen stolz und tunkt langsam ihren Keks in den Kaffee.
    »Ich habe so ein bisschen auf depressiv gemacht. Habe ein bisschen geschwafelt von dem besonderen Licht, das entsteht, wenn der Tag langsam von der Nacht verdrängt wird. Wenn die Stille alles Laute verschluckt. So was eben.«
    Es tut mir weh. Julchen hat auf »depressiv gemacht«. Das klingt so verächtlich. Dabei meint sie noch nicht mal mich. Nicht persönlich. Ihr sind diese Stimmungen einfach fremd. Und doch trifft sie mich damit.
    »Und da hat sich schon ein Ghostwriter gemeldet. Er ist sofort angesprungen auf die Nummer. Ich habe dann einen Versuchsballon gestartet. Habe behauptet, dass ich mich bei dem Licht dann manchmal in französische Filme träume. Ist dir mal aufgefallen, wie sehr sich der Kaktus mit Filmen auskennt? Der muss eine Wahnsinns-DVD-Sammlung haben. Oder dauernd ins Kino rennen. Bestimmt so ein Typ, der immer nur ins Programmkino geht oder Filme im Original guckt. Auf jeden Fall hat er den Köder sofort geschluckt. Der hat sich gar nicht mehr eingekriegt. Wollte wissen, was mein Lieblingsfilm ist. Ob ich auch diese tschechischen Märchenverfilmungen so toll finde. Ob ich schon mal auf einem Filmfestival war und so weiter. Ich musste mir echt ganz schön was zusammenlügen.«
    Ich erinnere mich an den Abend, als ich »mit ihm« im Kino war. Wie ich wirklich das Gefühl gehabt hatte, er
säße neben mir im Dunkeln. Ich war vorher noch nie in meinem Leben alleine im Kino gewesen.
    »Gestern Abend kurz nach zehn war er wieder da. Ich habe es dann einfach mal versucht und habe ihn direkt gefragt, ob er zufälligerweise wüsste, wo man hier in der Nähe Bogenschießen lernen könne. Ich würde

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