Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
meinem Bruder gerne einen Kurs zum Geburtstag schenken wollen.«
    »Und er kannte sich aus.«
    Konnte ich mir ja jetzt denken. Ich war ein bisschen abgetörnt von Julchens selbstgefälliger Haltung.
    »Du sagst es. Er hat mir sofort einen Verein genannt, der ganz tolle Anfängerkurse gibt. Und überhaupt, das sei auch was für Mädchen. Da war mir klar, dass er angebissen hat. Was sagst du dazu?«
    Was soll ich dazu sagen? Ich habe mit Drohen, mit Flehen, mit Betteln versucht wieder Kontakt mit dem Kaktus aufzunehmen. Um ihn zu fragen, warum er das tut. Um herauszukriegen, was er erreichen will. Er blieb abgetaucht. Kaum tauchte Julchen auf, kam er wieder an die Wasseroberfläche.
    »Wahnsinn«, sage ich, um überhaupt was zu sagen. »Und jetzt?«
    »Jetzt muss ich ihn warmhalten, bei Laune halten. Er soll mir vertrauen. Und irgendwann werde ich beiläufig ein Treffen vorschlagen. Und da schnappen wir ihn dann.«
    Ihr Plan klingt so klar. So einfach.
    »Was meinst du genau mit ›Wir schnappen ihn‹? Womit willst du ihm drohen, wenn er nicht aufhört?«
    »Am besten engagieren wir Philipp. Der soll mitkommen und sich den dann mal vornehmen.«
    Das hört sich nicht wirklich nach einem durchdachten Plan an, aber ich glaube ohnehin: Wenn ich erst mal sein Gesicht kenne, hat die Angst ihren schlimmsten Schrecken
verloren. Der Typ kann mich doch nicht weiter quälen, wenn er mir einmal in die Augen gesehen hat - und ich ihm.
    Julchen redet schon wieder.
    Über komische Typen im Chat, die sie angequatscht haben. Über ein paar Typen aus unserer Stufe, die da auch andauernd sind, die sie aber nicht erkannt haben. »Die haben sich original Tipps über ferngesteuerte Flugzeuge gegeben«, berichtet sie gerade lachend. »Dein Freund Merlin ist auch dabei, und zwar ständig - der hat anscheinend echt nichts Besseres zu tun.«
    Ich sage nicht, dass ich diesen Chat am Anfang auch dubios fand. Einfach überflüssig eigentlich. Dass ich dieses Versteckspiel erst irritierend fand. Bis ich diese Anonymität zu lieben lernte. Ich fand es wohlig. Dieses Verstecken hinter merkwürdigen Namen. Ich hatte mich doch nur da angemeldet, weil da eben alle - fast alle - aus unserer Stufe angemeldet sind. Oder waren. Mittlerweile hat sich die Szene verlagert. Jetzt gibt es einen noch besseren Chat. Mit Echtzeittalk. Mit der Möglichkeit, sich Videos zuzuspielen. Alles noch schneller, noch bunter, noch cooler. Habe ich gehört.
    In mir formieren sich fünf Buchstaben.
    WARUM?
    Das will ich von ihm wissen. Das muss er mir beantworten. Warum hat er mich angesprochen, was fand er ansprechend? Warum war er so offen, so anders, so wunderbar uncool? Warum hat er die Klappe fallen, das Tor rasselnd runtergelassen? Und warum quält er mich seitdem? Warum will er mich in die Verzweiflung treiben?
    Was habe ich getan? Oder geschrieben?
    Warum ich?
    Warum überhaupt?

    Ich wringe meine Hände und mein Blick fällt zufällig auf meine Uhr. Mist. In drei Minuten fängt Physik an. Da kann ich mir unangenehmes Auffallen durch Zuspätkommen überhaupt nicht erlauben. Ich raffe meine Sachen zusammen. »Ich muss los. Physik. Können wir heute Nachmittag weiterreden?«
    »Heute Nachmittag bin ich beim Friseur. Komm doch heute Abend vorbei, dann können wir vielleicht zusammen mit dem Ghostwriter chatten.«
    Ich nicke nur. Allein die Vorstellung macht mir Angst.
     
    Merlin ist sauer, dass ich zu spät komme, und zeigt es sogar. Als ich mich mit rubinrotem Kopf auf meinen Stuhl fallen lasse, dreht er sich zu mir und zischt: »Toll.«
    Wir machen heute irgendwelche Versuche zur Schwerkraft. Die wollen wir thematisch mit in unser Referat aufnehmen. Ich gucke auf den sehr geraden Rücken von Merlin und bin irritiert. Klar ist er ein bisschen stinkig. Aber er hat mich noch nie angemeckert. Merlin ist hundekuchengut. Egal, um seine Launen kann ich mich jetzt echt nicht kümmern. Meine Gedanken drehen sich wie Monde um den Ghostwriter. Nach dem, was Julchen erzählt hat, bin ich auch hundertpro sicher, dass er der Kaktus ist. Wer weiß, wie er vorher hieß. Vielleicht gibt er sich alle paar Wochen einen anderen Namen, pickt sich irgendein Mädel aus dem Chat raus und freut sich über sein neues Opfer. Will er sich also demnächst an Julchens Fersen heften?
    Ich bin ziemlich in Gedanken, als ich endlich am Fahrradkeller ankomme. Außerdem bin ich spät. Ich war aus Gewohnheit Richtung Bus gegangen, als mir einfiel, dass ich morgens mit dem Rad gekommen bin. Ich hatte Papa

Weitere Kostenlose Bücher