Angstspiel
ausgegossen.
Luise findet es »topcool«, dass unsere Eltern kurzfristig nach Italien reisen. Sie flüstert mir zu: »Mäkkes!«, und leiert Ma sogar noch zwanzig Euro aus dem Portemonnaie. Die wollte erst nur zehn lockermachen. Aber da hat sie nicht mit Luise gerechnet.
»Ihr werdet also im Flieger schon einen Sekt schlürfen. Heute Abend gibt es dann noch einen Prosecco und wahrscheinlich die geilste Pasta der Welt, morgen früh mümmelt ihr euch durch das gesamte Frühstücksbüfett, danach geht es wahrscheinlich direkt in die Gelateria und so weiter. Und wir werden hier mit zehn Euro abgespeist. Das ist ein Fall fürs Jugendamt«, hat Luise lamentiert und Mama blieb nichts anderes übrig, als noch einen Schein zu zücken.
Ihr Auto ist gerade erst um die Ecke gebogen, als Luise ihre Jacke anzieht.
»Willst du weg?« Mir wird schlecht. Der Zement in mir zieht sich noch einen Millimeter zusammen. Wenn sie jetzt auch noch geht, bin ich ausgeliefert. Ganz alleine in diesem Haus, nur mit Opa im Keller, fühle ich mich wie nackt in einem Auto. Kein Platz, der zum Verstecken reicht.
»Klar will ich weg. Ich hole uns jetzt eine DVD, die mindestens jugendgefährdend sein muss, und mehrere Tausend Kalorien, verkleidet als Burger, Pommes, Mayo und Chicken Wings.«
»Ich komme mit.«
Sie runzelt die Stirn. »Wenn du gehen willst, kann ich ja hierbleiben.«
»Ich will nicht alleine gehen. Ich will mitgehen.«
Sie runzelt noch ein paar Falten dazu. Nickt dann aber.
In der Videothek laufen wir Merlin in die Arme. Eigentlich in die Hacken. Aber man sagt ja immer »in die Arme«.
Luise lädt ihn kurz entschlossen ein. Ich glaube, Merlin guckt noch ein bisschen erschrockener als ich. Reiche ich Luise nicht?
Als wir uns nach drei Sparmenüs mit Extra-Pommes auf die Couch kuscheln und »From dust till dawn« einlegen, ist es ein bisschen wie früher. Nur dass wir drei uns früher mit »Benjamin Blümchen« vergnügten, später mit
»Wetten dass …?« Merlin ist endlich auch ein bisschen ruhiger geworden. Während der ersten halben Stunde hatte er ununterbrochen gequatscht. Außerdem hatte er komische rote Flecken am Hals. Das hatte er früher schon immer, wenn ihm was richtig unangenehm war. In die Hose machen zum Beispiel.
Ich habe darauf geachtet, in der Mitte zu sitzen. Merlin und Luise flankieren mich. Wie zwei Beschützer. So könnte es immer sein.
Scheiß Konjunktiv.
»Er hat angebissen!«
In Julchens Stimme ist ein Kilo - mindestens - Triumph. Sie lässt mich gar nicht zu Wort kommen. »Und er will mich sehen.«
Sie hat es geschafft. Er will sie sehen. Natürlich will er SIE sehen. Mich wollte er nicht sehen. Mich will er nur quälen. Mit mir fiese Spielchen spielen. Ich würge ein »Super« heraus. Ich finde es ja auch super. Eigentlich. Nur so wird es aufhören. Wenn überhaupt. Er muss den Köder schlucken, dann kann Julchen den Fisch an Land ziehen. Aus seinem stinkenden Tümpel. Ich stelle mir vor, wie ein fetter, müffelnder Karpfen vor mir liegt. Mich aus milchigen Glupschaugen anguckt und verzweifelt nach Luft schnappt. Wie er immer wieder den hässlichen Mund mit Überbiss aufreißt, um nicht qualvoll zu sterben.
Die Vorstellung gefällt mir.
Bin ich jetzt schon so sadistisch wie er?
Wenn man auf Augenhöhe kämpfen will, muss man sich dann vielleicht auch mal herablassen?
»Erzähl mal«, fordere ich Julchen auf.
»Er hat mich zum Essen eingeladen.«
»Ach, führt der Gentleman dich zum Dinner aus? Wie galant.«
»Genau. Wir gehen ins ›Pasta Basta‹. War ich eh lange nicht mehr.«
Ich verstehe nicht ganz. Das, was ich glaube, was sie gesagt hat, kann ja nicht stimmen. Sie wird doch kaum mit ihm alleine essen gehen, oder?
ODER?
»Du gehst mit ihm schön italienisch essen?«
Es sollte eher wie eine Feststellung klingen.
»Sieht so aus. Ich hole ihn ab, weil das wohl genau auf dem Weg liegt.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
Der Typ hat mich eingesperrt. Er hat mich wie ein Tier eingepfercht. Hat sich amüsiert darüber, wie ich über den Boden gekrochen bin. Der Typ hat Ali ermordet. Vergiftet mit Rattengift oder so. Er hat eklige Bilder von mir ins Internet gestellt. Mir notgeile, widerliche Männer auf den Hals gehetzt. Er hat ein fieses Herz auf mein Fenster gemalt.
Und bei diesem Monster will Julchen anklingeln, um lustig essen zu gehen. Ist sie mutig oder so naiv?
»Entspann dich. Er ahnt ja nicht, dass ich genaustens über ihn informiert bin. Und was soll mir
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