Angstspiel
Hause. Wir sehen uns morgen. Das heißt, du riechst mich wahrscheinlich, ehe du mich siehst.«
Dann legt sie auf.
Oder hat er aufgelegt?
Hat Julchens Handy einen Lautsprecher? Hat er mitgehört?
Ich gehe natürlich nicht nach Hause. Ich biege ab, Richtung Blumenstraße. Haus Nummer 13 sieht aus wie ein alter Opel Kadett. Gewöhnlich. Ein bisschen ordinär. Nur oben rechts ist Licht. Da sitzt Julchen jetzt mit dem Kaktus. Ich würde jetzt doch gerne schellen. Ich möchte ihm in die Augen sehen. Mein Handy klingelt. Julchen steht auf dem Display. Ich gehe atemlos ran.
»Ja?«
Sie flüstert: »Er ist gerade auf dem Klo. Mach dir wirklich keinen Kopf. Der Typ sitzt im Rollstuhl. Mehr morgen.«
Danach legt sie auf.
Ich starre das Handy an, nachdem das Display schon lange wieder dunkel ist.
Der Kaktus sitzt im Rollstuhl? Er ist querschnittsgelähmt? Was soll das denn? Ich starre die erleuchteten Fenster an. Wieso wohnt ein Typ im Rolli in der obersten Etage? Da stimmt doch was nicht. Ich gehe zügig Richtung Haustür. Jetzt schelle ich, nehme ich mir vor und traue mich dann doch nicht. Durch das Licht der Straßenlaterne hinter mir sehe ich die Metalltür eines Aufzugs im Treppenhaus. Es könnte also stimmen. Ich gehe ein paar Schritte zurück. Gucke wieder hoch. War das Licht gerade nicht etwas heller? Macht der jetzt auf Romantik, oder was?
Wenn Julchen recht haben sollte und der Kaktus nicht gefährlich ist, dann kann ich doch jetzt schellen. Dann fahre ich jetzt mit dem Aufzug nach oben, und dieser Arne Becker soll mir mal ein paar Dinge erklären. Ich hätte da einige Fragen. Julchen hat gesagt, ich soll nach Hause gehen. Warum? Warum hat sie nicht gesagt, dass ich vorbeikommen soll?
Heißt das, dass ich wirklich nicht kommen soll? Oder heißt das, dass ich besser auf jeden Fall klingele? Und was
mache ich, wenn er nicht aufmacht? Ich höre Schritte hinter mir. Eine Frau geht an mir vorbei. Sie dreht sich kurz zu mir um. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Nein. Danke.«
Ich drehe mich auch um, gehe Richtung Bürgersteig. Hinter ihr fällt die Tür ins Schloss. Mist. Vielleicht war das die Gelegenheit. Ich hätte mit reingehen können, um oben an der Tür zu lauschen. Ich hätte sie fragen können, ob sie Arne Becker kennt. Ein Gedanke schleicht sich dazwischen. Kannte Julchen Arne Becker schon? Inszeniert sie gerade etwas, um mich einfach zu beruhigen? Ich setze mich auf eine kleine Mauer, starre weiter hoch zu den Fenstern. Eine SMS platzt in die Stille.
Meine Mutter. Wird es später?
Was für eine doofe Frage. Es wird immer später. Und später. Ich bin versucht, ihr zu antworten: »Nein, ich habe die Zeit angehalten.« Mache ich natürlich nicht.
Ich antworte nur: Bin unterwegs .
Es ist nach Mitternacht. Natürlich kann ich nicht schlafen. Um halb eins setze ich mich noch mal vor die Glotze. Ich muss irgendwie andere Gedanken in meinen Kopf kriegen. Ich zappe sechzig Kanäle durch. Nur Mist. Ich stopfe eine halbe Vollmilch-Nuss in mich rein, wälze mich wieder unter der Bettdecke. Um kurz vor zwei höre ich irgendwas im Garten. Ich war wohl doch kurz weggedämmert, bin wieder hellwach. War es wirklich im Garten? Ich versuche mich zu konzentrieren, doch außer meinem Herz höre ich nichts. Um vier wache ich ohne Decke vor meinem Bett auf. Wie bin ich hier hingekommen? Es sind immer wieder die gleichen Sätze, die wie Glockenschläge durch meinen Kopf hämmern. Wer ist es? Was hat dieser Kaktus damit zu tun? Warum will mich jemand in den Wahnsinn treiben? Wer ist es? Wer ist es? Wer ist es? Ich
nehme mir meine Decke, schleiche nach ganz oben. Ganz leise lege ich mich neben Luise. Ihr schnaufender Atem beruhigt mich ein bisschen. Als sie mich um halb sieben weckt, tut mir alles weh. Als hätte ich Muskelkater. Fühle mich erschlagen und geschlagen.
»Oh, habe ich Besuch?« Sie grinst mich an.
»Opa hat so geschnarcht, das war nicht zum Aushalten«, lüge ich.
Obwohl ich mich am allerliebsten einfach umdrehen und die Augen wieder schließen würde, quäle ich mich aus dem Bett. Während ich pinkele, schreibe ich Julchen eine SMS.
»Kannst du reden? Ruf mich an!!!«
Keine Antwort.
Es war ein Fehler, sie alleine bei diesem Ghostwriter zu lassen. Das war totaler Schwachsinn. Als ob nicht schon genug passiert ist. Wenn jetzt auch noch Julchen was zustößt, raste ich völlig aus.
Unter der Dusche flackert es plötzlich wie eine Einblendung vor meinen Augen. Kaktus kannte Julchen doch. Er weiß doch,
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