Angstspiel
passieren? Du weißt ja, wo ich bin. Ich werde dir alle halbe Stunde eine SMS schicken. Am besten wartest du irgendwo in der Nähe. Außerdem hängen im ›Pasta Basta‹ bestimmt eh ein paar Typen von unserer Schule ab, die mich im Zweifelsfall befreien könnten.«
»Und wenn da keiner ist, der dir hilft, und ich keine SMS bekomme?«
»Dann kommst du natürlich.«
»Und wenn der Typ gerade damit beschäftigt ist, dich auf dem Männerklo zu fesseln oder was weiß ich was zu tun?«
Julchen hat sie doch nicht alle. Sosehr ich will, dass dieser
Horror aufhört, so sehr habe ich Angst um meine Freundin. Meine einzige Freundin immerhin.
»Kannst du nicht zusätzlich noch Philipp Bescheid sagen?«, bitte ich sie.
»Das ist gerade schlecht«, wehrt sie ab.
»Weil?«
»Der hat zurzeit genug Stress. Er hat ein bisschen Ärger. Wenn meine Eltern da irgendwas spitzkriegen und hören, dass Philipp Bescheid wusste, hat der ein richtiges Problem.«
Philipp in Zusammenhang mit den Wörtern »Ärger« und »Problem« - das gab es bis jetzt in meiner Vorstellung nicht.
»Wieso hat der Ärger?«
Ich bin einfach zu neugierig, um nicht zu fragen.
»So eine Omi aus dem Altersheim hat sich über ihn beschwert. Das passiert in seinem Job aber alle naselang. Alte Menschen sind einfach komisch. Meckern dauernd rum. Dabei macht Philipp die Arbeit als Zivi total viel Spaß.«
Ich sage jetzt nicht, dass ich mich auch gerne von Philipp pflegen lassen würde. Ich stelle mir vor, wie er mir Essen bringen würde. Wir würden ein bisschen quatschen. Dann entgleiten mir meine Gedanken. Iiiiiiih.
Ich habe eine super Idee.
»Wir machen das so: Direkt wenn ihr im ›Pasta Basta‹ angekommen seid, rufe ich dich an. Du erzählst dann beiläufig, mit wem du wo bist, und zwar so, dass er es hört. Dann ist ihm klar, dass jemand anderes Bescheid weiß, wo du bist. Da wird er sich wohl zurückhalten.«
Julchen nickt. »Das klingt gut.«
Vielleicht hält er sich bei Julchen aber ohnehin zurück. Weil er in sie verliebt ist. Weil er sie ja nicht verschrecken
will. Weil es ja nur Spaß macht, so eine dumme, hässliche Kuh wie mich zu quälen.
»Wie geht es dann eigentlich weiter?«, frage ich vorsichtig.
Wie will Julchen ihn dazu kriegen, mich in Ruhe zu lassen?
»Das habe ich mir schon genau überlegt. Ich werde ihm von einer Freundin erzählen, die von einem Stalker verfolgt wird. Und dass die jetzt die Polizei eingeschaltet hat und die Bullen schon eine heiße Fährte aufgenommen haben und bald auch den genauen Namen und die Anschrift herausbekommen werden.«
»Und das soll helfen?«
Für mich klingt das ein bisschen naiv. Ein bisschen nach TKKG.
»Das Monster wird Panik bekommen, ist doch klar. Er wird die Muffen kriegen und sofort seine Schweinereien einstellen«, erläutert Julchen ganz ruhig.
»Und wenn er das nicht tut, weil er sich total sicher ist, nicht entdeckt zu werden? Weil er ein absoluter Hacker ist und seine Spuren im Netz verwischt hat?«
»Dann haben wir ja seine Adresse und seinen Namen und gehen damit wirklich zur Polizei. Wahrscheinlich finden die sofort auf seinem Rechner die Fotos von dir. Damit ist er dann überführt.«
»Vielleicht sollten wir es direkt so machen. Wenn du weißt, wer er ist, gehen wir damit zu den Bullen und ich zeige ihn an. Dann musst du gar nicht zu ihm.«
»Und dann kommt es zu einer Gerichtsverhandlung, wo die schönen Fotos von dir dann fett als Beweismittel rumliegen. Der Richter, der Staatsanwalt, der Anwalt, das Schwein - alle haben die Fotos von dir in der Hand, während du da als Zeugin verhört wirst. Hast du da Lust drauf?«
Habe ich natürlich nicht. Aber ich wundere mich, dass Julchen dies bedacht hat und die für sie gefährlichere Variante vorzieht.
Ich schlucke. Ein Gedanke geistert in meinem Kopf rum. Ich kann ihn nicht packen. So wie ich manchmal abends im Bett liege und weiß, dass ich was vergessen habe - aber eben nicht, was. Fahrrad in die Garage bringen oder so was. Ich schiebe das Gefühl zur Seite. Endlich stelle ich die Frage. »Hast du eigentlich schon seinen richtigen Namen?«
»Er heißt Arne Becker.«
Arne Becker.
Eigentlich ein harmloser Name.
Es klingelt. Der Pausenhof leert sich schnell. Auf dem Weg nach oben flötet Julchen: »Also nimm dir heute Abend mal nichts vor, damit du mich im Zweifelsfall retten kannst.«
Heute Abend.
»Heute?«
9
I ch sitze an einem schmierigen Tisch in einer noch schmierigeren Frittenbude. Das ist der einzige Ort in
Weitere Kostenlose Bücher