Angstspiel
Ob Champignon-Cremeoder Tomaten- oder Brokkolisuppe: Es ist fast immer das Gleiche drin. Um kurz vor knapp werde ich langsam nervös. Und deprimiert. Klar, Arne wird nicht jeden Tag einkaufen. Ich habe mir offenbar den falschen Tag ausgesucht. War klar.
Weitere zehn Minuten später bin ich irritiert.
Wieso macht dieser Laden nicht zu? Ich gehe zu einem jungen Mädchen, das gerade die Damenbinden neu sortiert.
»Machen Sie jetzt gar nicht zu?«
Sie guckt zu mir hoch.
»Schön wär’s. Haben doch jetzt bis neun auf. Jeden Tag. Auch samstags. Lohnt sich nicht die Bohne.«
Was ist das für ein Mist? So ein Pseudo-Großstadt-Kack. Hier ist doch jetzt schon nichts los. Und was soll ich jetzt machen bis neun Uhr? Das ist doch noch eine Ewigkeit. Ich könnte jetzt nach Hause gehen, morgen um kurz vor neun wiederkommen und weiß schon jetzt genau, dass der gute Arne dann mit Sicherheit heute seine Wocheneinkäufe gemacht hat. Obwohl: Kann der so viel überhaupt mit einem Rollstuhl transportieren?
Ich gehe langsam zur Tür, zücke dabei mein Handy, überlege, ob ich Julchen mal ansimsen soll, und renne fast in Arne Becker rein. Mein Fuß hat schon einen Reifen von seinem Rolli berührt. Ich drehe mich halb weg, verdecke mein Gesicht mit der Hand und drücke mich an ihm vorbei durch die Tür.
Ich höre ihn lachen.
»Keine Sorge, das ist nicht ansteckend«, ruft er mir hinterher.
Offenbar glaubt er, ich hätte so verstört auf seine Behinderung reagiert. Wie peinlich. Ich gehe schnell ein paar Schritte weiter, biege am Ende des Hauses ab und bleibe atemlos bei riesigen Mülltonnen stehen. Das hätte mir jetzt noch gefehlt, dass der mich erkennt. Hat er offenbar nicht. Wirklich was von ihm gesehen habe ich nicht. Also, auf ein Neues!
Ganz langsam gehe ich zurück Richtung Supermarkt, gucke vorsichtig zwischen den großen Werbeplakaten für Schweinenackensteak und Bio-Joghurt hindurch in den Laden. Endlich rollt er einen Gang hinunter. Ich könnte Julchen in den Po treten. Klar, wenn man einen Bruder wie Philipp hat, ist dieser Arne vielleicht nichtssagend. Für mich sieht er einfach total gut aus. Nicht total gut im Sinne von Unterhosenmodel oder Popstar. Total gut in meinem eigenen Sinn. Ich hatte irgendwie erwartet, dass die Gläser seiner Brille Lupenstärke haben. Ich hatte gedacht, dass seine Augen dahinter ganz froschig und glupschig aussehen. Tun sie überhaupt nicht. Er hat so ein dunkles Brillengestell auf der Nase wie dieser witzige Viva-Moderator, dessen Namen ich mir nicht merken kann. Die Haare fallen ihm halblang auf sein Kapuzenshirt. Als er sich plötzlich umdreht, in meine Richtung guckt, ducke ich mich schnell weg. In gebückter Haltung schleiche ich mich aus dem Sichtfeld. Ich habe genug gesehen.
Nein. Stimmt nicht. Ich würde ihm gerne noch länger zusehen, aber ich weiß schon jetzt, dass ich verschwinden muss. Aus seiner Nähe. Aus seinem Leben. Was, wenn der Horror weitergeht und Arne da mit reingezogen wird?
Ich schlendere zu der fettigen Pommesbude, setze mich rein und bestelle Fritten mit Currywurst. Wenn ich jetzt fett werde oder Pickel bekomme, ist es doch auch schon egal.
Ich bin so traurig.
Eigentlich könnte alles so schön sein.
Ich habe einen netten Typen kennengelernt. Wir haben uns stundenlang unterhalten, uns so viel anvertraut. Er findet mich schön. Ich traue mich kaum, diesen Gedanken zu denken. Ich finde ihn so - so beschützend irgendwie. Obwohl er ja eigentlich in seinem Rollstuhl verletzlich wirken müsste.
Und trotzdem muss ich jetzt gehen. Mich heimlich und leise zurückziehen, weil ich nicht will, dass der böse Sog ihn auch erfasst.
Deprimiert stopfe ich die fiesen Pommes und die lauwarme Wurst in mich rein. Als mein Handy klingelt, habe ich den Mund gerade so voll, dass ich nur ein »Mmm?« hinkriege.
»Linda, bist du das? Ich bin’s, Julchen. Sag mal, hast du eigentlich so richtig hässliche Klamotten?«
»Weißt du doch!«, sage ich schlecht gelaunt.
»Nein«, lacht sie laut. »Noch hässlicher. So richtigen Trash-Krams meine ich.«
»Wahrscheinlich ja. Warum?«
»Philipp hat für morgen Abend noch vier Karten für eine spontane Trash-Party in der ›Villa‹ bekommen. Und ich habe ihm zwei davon gerade aus der Tasche geleiert. Das wird hammerhart. Dieses Mal haben sie nur fünfzig Tickets verteilt. Das wird ultimativ! Bis morgen!«
Partys in der »Villa« sind der Burner. Die »Villa« ist keine Disco, eher ein total verrückter Klub. Tickets für die
Weitere Kostenlose Bücher