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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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schon jetzt von allen Seiten.
    Sie steht auf wie in Trance, geht an mir vorbei. Ich höre nicht, wie sie die Treppe runtergeht. Sie ist nur noch ein trauriger Hauch. Ich bleibe im Wohnzimmer stehen. Was soll ich tun? Runtergehen? Danebenstehen, wenn sie vielleicht das letzte Mal ihren Vater im Arm halten wird? Wie er es schon nicht mehr spürt. Ich kann vor mir sehen, wie sie ihn küsst, sein Haar streichelt, seine Hand nimmt. Wie sie immer wieder was Neues probiert, um eine Reaktion zu erhalten. Obwohl ihr Kopf natürlich weiß, dass da keine Reaktion kommen wird. Nie wieder.
    Ich gehe zum Telefon, rufe meinen Vater an. Er muss jetzt kommen. Ich erreiche nur seine Assistentin. Sage ihr, dass mein Vater nach Hause kommen soll. Sofort. Ich habe offenbar einen Ton in der Stimme, der Nachfragen verbietet. Erst jetzt spüre ich das ganz leichte Klopfen im Haus. Das bedeutet, dass Luise oben ist und wieder die Bässe zu laut aufgedreht hat.
    Ich muss es ihr sagen. Warum ich?
    Ich klopfe nicht an. Die Musik ist ohnehin zu laut. Sie steht mitten im Raum und tanzt. Als sie mich sieht, versucht sie mich auf ihre imaginäre Tanzfläche zu locken. So ist Luise. Wenn ich sie beim Tanzen überrasche, soll ich mitmachen. Wenn sie mich so erwischt hätte, hätte ich das sofort abgebrochen.
    Ich schüttele den Kopf, sehe ihr weiter zu. Luise tanzt nicht wie andere, die oft nur ein paar Schritte machen. Luise tanzt mit allem, was sie hat. Sie rudert mit den Armen, wirft den Kopf gefährlich hin und her, wirbelt sich rum, hüpft, geht in die Knie. Als das Lied endlich zu Ende ist, ist sie völlig aus der Puste.

    »Du siehst nach Blues aus«, sagt sie ganz sachlich mit Blick in mein Gesicht.
    Ich nicke nur. Kloß im Hals.
    »Willst du einen Klammerblues?«, fragt sie neckisch.
    »Opa ist tot«, sage ich. »Er sitzt unten an seiner Schreibmaschine und atmet nicht mehr.«
    Ganz langsam erlischt das Grinsen in Luises Gesicht. Ihre Arme hängen plötzlich nutzlos runter. Sie forscht in meinem Gesicht, sucht irgendeinen Hinweis darauf, dass ich einen ganz schlechten Scherz gemacht habe. Wir gucken uns ganz stumm an. Ich spüre, wie ihr Blick weich wird. Sie sieht mich weiter an, sieht aber nicht mehr mich.
    Ich gehe einfach raus. Es gibt jetzt nichts zu bereden zwischen Luise und mir. Wir können uns nicht gegenseitig trösten. Vielleicht können wir es irgendwann. In meinem Zimmer riecht es noch nach Schlaf. Ich setze mich auf mein zerwühltes Bett und kann jetzt nicht mehr dem Gedanken ausweichen, der schon die ganze Zeit an mir klebt wie ein Kaugummi, in das man sich aus Versehen reingesetzt hat.
    Opas Tod hat etwas mit mir zu tun. Ich weiß das. Es roch komisch gerade in seinem Zimmer. Es roch nach einem anderen Menschen. Ich sehe wieder vor mir, wie der Vorhang durch die Gartentür hin und her wehte. Ich glaube, dass jemand bei Opa im Zimmer war.
    Jemand, der mich gesucht hat.
    Ich lege mich hin, auf den Bauch, halte mir die Ohren zu. Versuche, dem Gedanken auszuweichen. Es geht nicht. Opa ist wegen mir gestorben.
    Ich glaube nicht, dass der Einbrecher - nein, eingebrochen ist er ja nicht -, dass der Eindringling Gewalt angewendet hat. Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, dass irgendjemand Gewalt gegen meinen Großvater
ausgeübt hat. Ich drehe mich auf den Rücken, starre an die Decke. Ich stelle mir vor, wie ihm jemand so ein Tuch mit Chloroform oder was auch immer auf Mund und Nase drückt. So ein Quatsch. Ich gucke zu viele schlechte Filme.
    Nein, das Zimmer hat nicht nach Gewalt ausgesehen. Alles hatte genauso ausgesehen wie immer. Nur mein Opa an dem Schreibmaschinentisch, das war fremd gewesen.
    Wie ferngesteuert stehe ich auf, gehe an meinen Computer. Ich google »Herzinfarkt und Erschrecken«. Ich will wissen, ob man sich so erschrecken kann, dass das Herz aufhört zu schlagen.
    Nebenan höre ich Stimmen. Mein Vater ist offenbar gekommen, tröstet meine Mutter, die endlich laut weint. Ich hatte schon darauf gewartet. Ihre Stille hatte mich schon beunruhigt. Dazwischen Luises Stimme. Irgendwann klopft es an meine Tür. Mein Vater kommt zu mir, nimmt mich in den Arm. Gott sei Dank hatte ich vorher den Rechner ausgemacht.
    »Danke, dass du mich sofort angerufen hast.«
    »Schon okay.« Ich klinge so kalt.
    »Hat er dich gerufen? Hat er noch was gesagt?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Als ich rüberging, saß er schon so an der Schreibmaschine.«
    Mein Vater wartet. Ich rede weiter.
    »Es war so anders still gewesen.

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