AnidA - Trilogie (komplett)
dass dieser einer größeren Anzahl von Menschen Platz bot.
Mellis hieß mich an einem der niedrigen Tische niederhocken und verschwand, um unser Frühstück zu holen. Ylenia winkte mir durch den Raum zu und lächelte aufmunternd. Ich nickte ihr zu und sah mich um.
»Sag mal, gibt es bei euch keine Männer oder seht ihr euch so ähnlich, dass man euch nicht auseinander halten kann?«, fragte ich Mellis, als sie zurückkehrte. Sie stellte das Tablett ab und hockte sich mit einem mitleidigen Blick auf meine langen, irgendwie unter mich gefalteten Beine neben mich.
»Du hast es hier nicht sehr bequem, tut mir leid. Wir sind nicht auf den Besuch so großer Leute eingerichtet«, sagte sie und reichte mir eine Tasse mit einer dunklen, heißen Flüssigkeit, die zart nach Schokolade roch. Ich nippte daran und stöhnte entzückt. Das Getränk schmeckte wie eine gelungene Mischung aus Kaffee und Kakao und war sowohl bitter als auch süß. Seine Wirkung war so erfrischend wie eine eiskalte Dusche und vertrieb den letzten Rest von Schläfrigkeit aus meinen Knochen.
»Unsere Männer bewohnen ihren eigenen Bereich«, beantwortete Mellis meine Frage. »Du kannst dir das alles nach dem Frühstück in Ruhe ansehen, Eddy. Ihr werdet sicher eine Weile hier bleiben.«
Tallis tauchte nicht auf, während ich frühstückte, und auch Ylenia verabschiedete sich kurz nach meinem Eintreten mit einem flüchtigen Winken. Aber Mellis hatte mir erklärt, dass ich mich im Großen Nest frei bewegen dürfe, und mir die Hauptwege erklärt. Ich kletterte den ganzen Vormittag unbeholfen zwischen den Ästen des gigantischen Baumes umher, bis ich mich endlich an die Höhe gewöhnt hatte und mich beinahe so frei zu bewegen begann wie die Grennach, die diesen Ort bevölkerten. Überall begegnete ich nur freundlichen Gesichtern. Keine der Frauen, die ich bei den unterschiedlichsten Verrichtungen antraf, schickte mich fort oder schien sich auch nur von mir gestört zu fühlen. Fast eine Stunde lang hockte ich neben einer winzigen, weizenblonden Grennach und sah gebannt zu, wie sie wunderschöne Behälter aus den verschiedensten Pflanzenfasern flocht. Unter ihren flinken Händen entstanden aus getrockneten Blättern und Streifen von biegsamer Rinde komplizierte Muster und verschlungene, vielfarbige Ornamente, die jedes der kleinen Kästen und Kistchen zu einem wahren Kunstwerk machten. Ich konnte mich nicht mit der Künstlerin unterhalten, weil sie kein Wort der Menschensprache zu verstehen schien, aber sie lächelte und nickte, wenn sie mich ansah. Als ich mich verabschiedete, hielt sie mir auffordernd eine handgroße Schachtel hin, die sie gerade fertig gestellt hatte. Ich nahm das Geschenk überrascht und ein wenig verlegen in Empfang und bedankte mich herzlich.
Mein Mittagessen verzehrte ich auf einem schwankenden Ast sitzend, während meine Beine rechts und links ins Leere baumelten. Am Nachmittag konnte ich noch einige der Grennach-Handwerkerinnen bei ihrer Arbeit bewundern. Ich fragte Mellis abends danach, und sie bestätigte gleichzeitig stolz und ein wenig traurig, dass die Grennach einen ganz besonderen Ruf als Künstlerinnen und Handwerkerinnen besaßen.
»Ich selbst habe allerdings nur Daumen an den Händen«, sagte sie seufzend und blickte traurig auf ihre acht schmalen Finger nieder. »Das war auch ein Grund, warum ich von hier fortgegangen bin.« Sie zuckte mit den Achseln. »Nicht, dass ich es bereue. Ich würde wahnsinnig, wenn ich nicht ab und zu etwas mehr von der Welt zu sehen bekäme als diesen Baum hier, und wenn er noch so einmalig ist.«
Tallis, die beinahe noch erschöpfter aussah als am Vortag, setzte sich zu uns und lehnte sich müde an meine Schulter. »Ah, ich habe ganz vergessen, wie anstrengend diese endlosen Sitzungen sind«, jammerte sie leise.
»Du warst zu lange fort, Nestälteste«, bemerkte eine ihrer Begleiterinnen, eine Grennach mit langen, eisengrauen Haaren. Sie war noch ziemlich jung, ihre Haarfarbe schien nicht das Ergebnis eines Alterungsprozesses zu sein, sondern wirkte eher wie das graue Fell eines Wolfes oder einer Katze.
»Wo ist meine Tante?«, fragte ich.
»Sie sitzt noch mit unserem Tlen-na'Tian zusammen und brütet über alten Legenden.« Tallis kicherte. »Wenn ich nicht wüsste, dass das harte Arbeit ist, würde ich sagen, deine Tante genießt jede Sekunde davon. Ich habe allerdings dringend eine Pause gebraucht, mein alter Kopf brummt nämlich inzwischen wie ein Bienenstock.« Sie winkte
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