AnidA - Trilogie (komplett)
Gesicht. »Nicht aufgeben, mein Ritter. Halt durch, du wirst wieder ... alles wird gut!« Sie konnte sehen, dass er sie nicht mehr hörte. Sein rasselnder, stöhnender Atem setzte immer wieder aus. Ida presste ihren Umhang gegen seine Wunde und fluchte verzweifelt.
Ein langer, rauer Atemzug hob seine Brust, und er stieß ihn pfeifend wieder aus. »Weiter, Marty, atme weiter«, flehte Ida. »Du darfst nicht sterben, mein Ritter!« Seine Hände fielen herab. Ida sah in Martens gebrochene Augen, und Tränen verschleierten ihren Blick. »Nein«, stöhnte sie und schlug die Hände vors Gesicht. Sie saß lange neben dem Toten, zu erschüttert, um sich aufzuraffen und weiterzugehen, den toten Marten alleine in dem blutbespritzten Gang zurückzulassen.
»Ah«, krächzte es unverkennbar spöttisch. »Du darfst nicht alles glauben, was du siehst. Deine Augen betrügen dich. Willst du ewig hier hocken bleiben und heulen, Ida?«
Ida fuhr herum und starrte in ein Paar glänzend schwarzer Augen über einem mörderischen, wie zum Lachen aufgesperrten Schnabel. »Oh«, sagte sie unwillkürlich, und die riesige Krähe gab ein glucksendes Geräusch von sich.
»Also los, mach dich auf die Füße«, sagte der Vogel herrisch. »Willst du hier anwachsen? Komm, auf, wir haben zu tun. Das ist kein Ort, an dem man ungestraft zu lange verweilen darf.«
Ida drehte sich mit einer hilflosen Geste zu dem Toten um. »Marten«, sagte sie schwach.
Die Krähe pickte ungeduldig nach ihr. »Lass das liegen«, krächzte sie scharf. »Es ist Aas. Du lebst, und du solltest zusehen, dass du aus diesem Labyrinth herauskommst. Sie hätten gerne, wenn du hier drinnen sterben würdest. Willst du ihnen den Gefallen tun?«
Ida kam taumelnd auf die Füße. »Wer bist du? Und wer will mich töten?«
Die Krähe flog auf. »Folge mir, ich führe dich aus dem Labyrinth. Wir müssen deine Schwester finden, und unsere Zeit läuft ab. Aber denk daran: Traue deinen Augen nicht!«
Mit einem letzten Blick auf den toten Marten rannte Ida los. Die Krähe schlug ein unerbittliches Tempo an, und Ida musste ihre letzten Reserven mobilisieren, um Schritt halten zu können. Die düsteren Wände des Labyrinthes flogen an ihr vorbei, und sie hatte Mühe, den schwarzen Vogel nicht aus den Augen zu verlieren. Manches Mal sah sie gerade noch seine Schwanzspitze durch einen der Durchgänge verschwinden, wenn sie um eine Ecke bog. Schweiß lief ihr in die Augen, und ihr Herz drohte zu zerspringen.
Sie stolperte an einem Torbogen vorbei, warf einen benebelten Blick hindurch und hielt abrupt an. »Hier geht es hinaus«, rief sie keuchend. »Krähe, komm zurück! Hier ist der Ausgang!«
Sie trat durch das Tor. »Nein, Ida!«, hörte sie in der Ferne den Ruf der Krähe. »Nicht dort hinein!«
Ein großer Saal tat sich vor ihr auf. Ida sah sich misstrauisch um und fühlte sich für einen Moment in einen Garten versetzt: Kleine Säulen säumten wie Büsche und Hecken die schwarz gefliesten Wege auf dem grauen Boden, irgendwo plätscherte Wasser, und hier und da standen Bänke unter Lauben, deren Mauerwerk so bearbeitet war, dass es wie rankender Wein wirkte. Die gesamte Umgebung war schwarz, grau und marmorweiß und wirkte wie die Stein gewordene Vorstellung eines gepflegten Parkes. Ida hob den Kopf und betrachtete die niedrige Decke, deren kunstvolles Mosaik die Umrisse von Wolken nachahmte. Die Pfeiler, die die Decke stützten, hatten die Form von Bäumen, und es hätte Ida nicht überrascht, hier und da ein marmornes Schaf zu erblicken.
»Verrückt«, murmelte sie und drehte sich zum Eingang um. »Was ist das hier, Krähe?« Sie verstummte erstaunt. Der Durchgang zum Labyrinth war verschwunden. Dort, wo sie glaubte, den Gartensaal betreten zu haben, plätscherte Wasser in einem kleinen Brunnen.
Ida setzte sich auf die Brunneneinfassung und schöpfte etwas von dem kühlen Wasser. Ihre Kehle war staubtrocken und rau. Sie trank und wusch sich das Gesicht. Dann rappelte sie sich auf und ging weiter in den seltsamen Steingarten hinein.
Beinahe wäre sie an der weiß gekleideten Gestalt vorbeigelaufen, so still saß sie auf einer der Bänke, die rund um einen thronähnlichen Sitz in der Mitte eines runden Platzes standen. Ida stutzte und trat zu der Bank.
Der schlanke Mann sprang überrascht auf und streckte ihr die Hände entgegen. »Ida«, sagte er erstickt. »Ich kann es nicht glauben! Wie hast du mich nur gefunden?« Er umarmte sie heftig. »Du darfst nicht hier bleiben«,
Weitere Kostenlose Bücher