AnidA - Trilogie (komplett)
würde dir gerne helfen, Ida, aber das vermag ich nicht. Ich kann dir nur raten: Sitz hier nicht herum und warte auf deinen Tod. Steh auf, unternimm etwas.«
Ida lachte widerwillig auf und streichelte sacht über das Gefieder der Krähe. »Du hast gut reden. Wie kann ich etwas tun, wenn ich nicht einmal sehen kann?«
Die Krähe krächzte höhnisch. »Ich habe es dir schon einmal gesagt: Deine Augen nützen dir hier wenig. Was hältst du davon, zur Abwechslung deinen Verstand zu benutzen?« Ida schwieg verstimmt. Ein harter Schnabel berührte eigenartig sanft ihre Hand. »Hast du schon einmal versucht, einfach hinauszugehen?«
Ida verneinte verdutzt und ein wenig beschämt. Das hatte sie tatsächlich nicht getan. Sie war durch ihr Zimmer gegangen, bis zur Tür und wieder zurück, aber nicht ein einziges Mal hatte sie die Tür einfach geöffnet und war hinausspaziert. Warum war sie nur niemals auf den Gedanken gekommen?
»Der Zauberbann«, sagte die Krähe lakonisch, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. »Aber du solltest es ruhig trotzdem versuchen, Ida. Du bist stärker, als du denkst.«
Ida schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Sie hörte, wie die Krähe aufflatterte und neben der Tür landete. Ihre Krallen kratzten über den Boden. Ida tastete sich zögernd zur Tür und fand sich auf dem Bett sitzend wieder. Mit einem ungeduldigen Laut sprang sie auf und stürmte voran. Unter ihren Fingern fühlte sie das kühle Glas der Fensterscheibe. »Ach«, sagte sie wütend und drehte sich um. Drei energische Schritte Richtung Tür, und Ida stand wieder neben ihrem Bett. Entmutigt ließ sie sich darauf niedersinken und legte den Kopf in die Hände. Es flatterte laut, Schwingen berührten ihren Hals und starke Vogelklauen bohrten sich schmerzhaft in ihre Schulter.
»Auf«, forderte die Krähe. Ida erhob sich gehorsam und folgte den Weisungen des Vogels. »Noch ein Schritt«, sagte die dunkle Stimme dicht an ihrem Ohr. »Hebe jetzt deine rechte Hand. Die Rechte!« Ida folgte und berührte eine Klinke. Der Ring an ihrer Hand summte leise. Ida atmete erschreckt ein und drückte die Klinke nieder. Die Tür schwang lautlos auf. Zitternd in einem kühlen Lufthauch stand Ida vor dem Zimmer und wandte unruhig den Kopf von einer Seite zur anderen.
»Und nun?«, fragte sie den Vogel. Die Krähe sprang mit einem wütenden Schrei von ihrer Schulter, und Ida hörte, wie sie sich entfernte. Mit einem ergebenen Seufzer tastete sie sich an der Wand entlang, bis ihr Fuß ins Leere trat. Vorsichtig schob sie ihn voran und berührte eine Treppenstufe. Sie legte ihre Hand auf das Geländer und stieg leise hinab, immer gewahr, dass sie jeden Moment entdeckt und wieder in ihr Zimmer gesperrt werden würde.
Sie erreichte glücklich das Ende der Treppe und berührte nach wenigen Schritten eine Tür. Ihre Finger schlossen sich um den Türknauf und drehten ihn. Sie trat vor die Tür. Kühle Luft fächelte ihr Gesicht. Sie atmete tief ein und ging einen Schritt vor. Ihr Fuß stieß hart gegen ein Hindernis. Sie tastete danach und erkannte verblüfft die unterste Stufe einer Treppe, die sie emporzusteigen begann. Auf dem ersten Absatz glitten ihre Finger über eine weitere Tür, die sie öffnete. Nach einigen Schritten stieß sie unsanft mit dem Schienbein gegen ein Bett. Ida schnaufte erschreckt und setzte sich darauf nieder. Sie berührte den Bettpfosten und das Kissen und erkannte resigniert, dass sie wieder in ihrem Zimmer angelangt war.
»Auf«, flüsterte es in ihrem Kopf. Wieder ging sie zur Tür hinaus und wandte sich dieses Mal zur anderen Seite. Langsam und unsicher stieg sie die Treppe hinauf. Auf dem obersten Absatz begann ein kurzer Gang, der um eine Ecke führte und an einer Tür endete. Ida öffnete sie, ohne sich weiter Gedanken um ihre Entdeckung zu machen. Das Zimmer dahinter war voller Gerümpel und führte nirgendwohin. Ida schloss die Tür und stand unschlüssig auf dem Treppenabsatz. Dann stieg sie entschlossen wieder hinab, bis sie erneut die vermeintliche Eingangstür erreichte. Sie öffnete sie beherzt und fiel über die erste Stufe der Treppe.
Irgendwann hatte sie aufgegeben, die Tür zu dem Zimmer am Ende der Treppe hinter sich geschlossen und entschieden, hier zu warten, bis man sie fand. Bis Eddy sie fand. Fröstelnd trotz der warmen, dumpfen Luft schlang sie die Arme eng um den Leib. Sie hatte sich auf das schmale Bett gesetzt, das zwischen all dem Gerümpel stand, und irgendwann war sie eingeschlafen und
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