AnidA - Trilogie (komplett)
voll und scharte eine Gruppe von jüngeren Grennach-Männern um sich, denen diese Diskriminierung ebenso auf die Nerven ging. Unter seiner Anleitung – ich erinnerte mich nur zu gut an seine geschickten Finger – begannen sie sich die ihnen vorenthaltenen Fähigkeiten anzueignen. Einige ältere Grennach-Männer, die wohl schon lange insgeheim künstlerisch gearbeitet hatten, ohne dass sie jemals eine ihrer Arbeiten hätten öffentlich zeigen können, stießen nach und nach zu ihnen und brachten ihnen bei, was zum Handwerk gehörte. Und jetzt war die rebellische Gruppe mit ihren Arbeiten endlich an die Grennach-Öffentlichkeit getreten und hatte gleichzeitig mit ihren Fähigkeiten auch ihr neu erworbenes Selbstbewusstsein demonstriert.
Ida betrachtete den Schmuck in ihrer Hand mit neuem Respekt. »Das ist eine echte Revolution«, sagte sie leise. »Das Grennach-Volk wird sich dadurch verändern.«
Ich nickte nachdenklich. Ähnliches hatte Tallis geäußert. Verwundert hatte mich, dass sie dabei über ihr ganzes runzliges Gesicht gelacht hatte. Die Grennach überraschten mich immer noch: jedes Mal, wenn ich glaubte, sie endlich zu begreifen, handelten sie auf mir völlig unverständliche Weise und auf jeden Fall ganz anders, als ich es erwartet hätte. Statt Empörung und Angst vor dem Verlust einer bislang unangefochtenen Stellung schienen die Frauen des kleinen Volkes die ganze Affäre als eine spannende Herausforderung zu empfinden.
Ich drückte meine Zig aus und drehte mir sofort die Nächste. »Wann erwartest du die anderen?«, fragte ich und achtete darauf, dieses Mal nicht zu husten.
Ida schlug das Schmuckstück ordentlich in das Tuch ein und legte es beiseite. »Ich denke, sie werden so nach und nach in den nächsten Tagen eintrudeln«, antwortete sie. »Ich bin nur gespannt, ob Simon es wirklich übers Herz bringt, sein Gasthaus für ein paar Tage zu schließen. Manchmal frage ich mich wirklich, ob er mit mir verheiratet ist oder mit seiner Küche.«
Ich kannte diese nicht ganz ernst gemeinte Klage. Wenn ich Simon in den letzten Jahren getroffen hatte, hatte er sich jedes Mal ähnlich bei mir beschwert: »Ich glaube, sie sieht unseren Hierarchen wesentlich öfter als mich. Bist du sicher, dass die beiden nichts miteinander haben?«
Wir saßen in friedvollem Plaudern und Schweigen beieinander, bis die letzten Sonnenstrahlen aus dem Garten verschwunden waren. Mit der Dämmerung stieg feuchte Kühle auf und machte mich frösteln. Ich drückte meine Zig aus und reckte mich stöhnend. Meine Glieder waren schwer und taub. »Ich glaube, ich gehe schon zu Bett. Ich bin doch reichlich müde.«
Ida nickte und stand ebenfalls auf. Sie küsste mich auf die Wange und wünschte mir eine geruhsame Nacht.
Zwei Tage später, ich hatte gerade begonnen, mich in den ruhigen Rhythmus des Hauses einzuleben, schollen laute, fröhliche Stimmen vom Hof herauf in mein Zimmer. Ich lehnte mich neugierig aus dem Fenster und sah zwei junge Frauen von ihren Pferden steigen. Die jüngere von beiden, eine durchtrainierte Rothaarige, die in dunkles, abgewetztes Reitleder gekleidet war, winkte mir zu.
»Tante Eddy«, rief sie erfreut. »Du bist auch schon da!« Die andere, eine ruhige, rundliche Frau mit dem dreifarbigen Haar einer Hexe, sah ebenfalls auf und lächelte. Ich winkte beiden zu und sprang die Treppe hinunter.
Ida war mir zuvorgekommen. Als ich durch die Hoftür trat, umarmte sie gerade ihre jüngere Tochter. Ich drückte die schmale Hand der Älteren und fragte sie nach ihrem Säugling. Sie lächelte und breitete die Hände aus. »Ihr Vater kümmert sich um sie. Ich wollte ihr noch keine so lange Reise zumuten. Mutter ist zwar traurig darüber, aber sie wird ihre Enkelin schon noch früh genug zu sehen bekommen.«
Ich wandte mich zu Dorkas, der Jüngeren, um. Sie drehte mir ihre Wange zu, und ich dachte einen verblüfften Moment lang, sie wolle einen Kuss von mir, was der Kleinen gar nicht ähnlich sah. Aber dann fiel mein Blick auf das, was sie mir hatte zeigen wollen. An ihrem Ohrläppchen baumelte ein grüner Stein an dem vertrauten Silberreif.
»Dorkas! Du hast deinen Schwur abgelegt!«
Sie nickte und strahlte. Ihre dunkelblauen Augen funkelten mit dem Stein um die Wette. »Und meine Namensmutter war meine Eidschwester«, brüstete sie sich. »Das war das erste Mal seit langem, dass eine Gildenmeisterin sich dazu hergegeben hat!«
Ida hatte Tränen in den Augen stehen. »Ich wollte immer, dass Dorkas meine
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