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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Luft.
    »Ist-er-von-der-Brücke-gesprungen?«
    »Ahhh … ähhh … nein. Es war alles sehr merkwürdig.«
    Sie erhob sich von ihrem Stein.
    »Mir ist kalt. Gehen wir noch ein paar Schritte?«
    Wir gingen weiter über den groben Sand, und sie nahm die Geschichte wieder auf:
    »Jonas tat etwas sehr … ich weiß nicht, wie ich es nennen soll … Verdrehtes. Er suchte einen Wald in der Nähe seines Hauses auf. Fuhr im Wagen hin. Rief per Handy die Polizei an und erzählte ihr: ›Da und da steht ein blauer Wagen mit dem und dem Kennzeichen. Zehn Meter zur Rechten ist ein Toter.‹ Das war alles. Er legte auf. Als die Polizei kam, hatte er sich an einem Baum erhängt. Auf seine Brust hatte er ein Stück Papier geheftet, auf das er Anna geschrieben hatte. Und seine eigene Telefonnummer. Der Körper war noch ganz warm.«
    »Wer ist Anna?«
    »Meine Freundin. Seine Frau.«
    »Das war alles?«
    »Alles.«
    »Hinterließ er keine Erklärungen?«
    »Nein.«
    »Er dachte, das sei nicht nötig. Dem Kerl ging alles auf den Sack.«
    »Was, Pedro Juan? Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es einfach. Alles ging ihm auf den Sack.«
    »Anna ist etwas übel dran. Sie hat zwei kleine Kinder und ahhh …«
    »Das ist kein Problem. Es gibt hier eine gute Sozialversicherung.«
    »Glaub das nicht. Das ist nicht alles.«
    »Und was sagt sie?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Rufst du sie nicht an? Sie ist deine Freundin.«
    »Ich hab keine Ahnung, was sie macht. Ich rufe sie nie an. Alles war dermaßen brutal.«
    »Alles ist brutal, Agneta. Alles. Absolut alles ist brutal. Hast du Angst vor dem Tod?«
    Sie antwortet mir nicht. Zuckt nur mit den Schultern. Wir gehen noch eine halbe Stunde weiter. Meine Hände und mein Gesicht waren eiskalt. Wir stiegen ins Auto. Fuhren zurück. Die Wolken zogen zu, und es begann zu regnen. Als wir nach Hause kamen, waren 14 Grad. Kälte und Feuchtigkeit. Agneta machte Tee. Ich mixte mir Rum mit Cola. Ich kann nicht dauernd Tee trinken, sonst wird mir noch die Leber krank. Ich machte mich über sie lustig: »Du solltest den Club der Anonymen Teetrinker gründen und dich heilen. Diese Teesucht ist schrecklich.« Sie lachte, legte aber die Platte Madredeus in Oporto auf. Portugiesisch und melancholisch. Verdammt auch, diese Frau will mich um jeden Preis deprimieren. Ich zog mir den Mantel an und setzte mich nach draußen auf den kleinen Balkon mit meinem Cuba Libre und einer Zigarre. Um Dampf abzulassen. Die Krähen stoßen hässliche Schreie aus. Alle anderen Vögel verschwinden einfach, wenn’s kalt wird. Nur die Krähen fliegen weiter umher und stoßen Schreie aus, als ob nichts wäre. Als ich die Zigarre aufgeraucht hatte und wieder hineinging, war Agneta erkältet. Ihr lief die Nase.
    »Ich hab’s mir wohl am Strand geholt.«
    »Das ist heute nicht dein Tag.«
    Schweigend sah sie mich an. Ich packte ihre Füße und verabreichte ihr eine gute Massage. Alle Schlüsselpunkte tun ihr weh. Alle. Sie hält nicht den geringsten Druck aus. Sie ist ganz schön abgerückt, dachte ich.
    »Agneta, ich werde dich jetzt jeden Tag massieren. Vielleicht kriege ich dich ein bisschen ins Gleichgewicht.«
    Der lange Tag zog langsam weiter seine Bahn. Im Winter würde es umgekehrt sein: die lange Nacht. Aber dann würde ich nicht mehr hier sein.
    Da fielen mir die Halsbänder ein, die die Santera für sie präpariert hatte. Ich legte sie ihr um und weihte sie. Sie dachte, es sei typischer Schmuck aus Kuba. Ich erklärte es ihr, so gut ich konnte. Mit einem ungläubigen Lächeln fragte sie mich:
    »Dann sind das Amulette?«
    »Na ja … wenn du es so sehen willst. Wichtig ist, dass man sie dir schickt, damit sie dich beschützen.«
    »Hahaha. Sie sind ganz typisch. Die Afrikaner benutzen sie immer.«
    Sie nahm sie ab und legte sie vorsichtig auf ein weißes Deckchen auf ihrer Schlafzimmerkommode. Dort lagen sie dann ein paar Tage. Danach verwahrte sie sie in einer Schatulle. Benutzt hat sie sie nie.

3
    Beim Herumschnüffeln in einem Schrank finde ich fünf Alben mit Zeitungsausschnitten. Vier davon enthalten nur Fotos von zerstörten Autos, Rennunfällen, Verletzten, die in Krankenwagen geschoben werden, Invaliden in Rollstühlen. Im fünften sind nur Artikel über Pferde, Hippodrome, Pferderennen, und auf den letzten Seiten ein paar Comics mit Snoopy. Auf der ersten Seite ein großes Foto von John Lennon. Ich hatte etwas Erbaulicheres erwartet. Pornohefte zum Beispiel. Aber nein. Nichts Unterhaltendes. Nur der Tod. Ich

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