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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Fregatten, die zum Bingoabend gingen. Doch Erykah und ich hatten ihr die schmerzhaft schöne CD von einem litauischen Pentatonik-Geiger aus dem Player gezogen, eine aggressive alte Rap-Scheibe eingelegt, die Freundin aus der Sofaecke gelockt, sie mit unserer guten Laune angesteckt und letztlich von dem Recht auf ein wenig Spaß überzeugt, so wie wir uns selbst überzeugt hatten.
    Ich hatte trotz allem gute Laune, weil ich nach Tagen endlich Pete wiedersehen würde. Erykah ließ sich sowieso nicht aus der Fassung bringen, von nichts und niemandem, also fragte sich denn auch Katya: Warum nicht, verdammter Mist? Vielleicht war es das letzte Silvester, das wir zusammen verbrachten.
    Kurz darauf standen wir im Hotelfoyer und erfreuten uns an dem Erfolg, den unser Auftritt erzielte. Erykah ließ mit einer perfekt divenhaften Affektiertheit direkt hinter der Eingangstür ihren Mantel von den Schultern zu Boden gleiten und rückte ihren Gazellenleib, der in dem elfenbeinfarbenen, mit Spaghettiträgern und tiefem Rückenausschnitt versehenen Catsuit hervorragend zur Geltung kam, unter einem Spot ins rechte Licht. Sofort verstummte das Gespräch an der Bar in der Lobby, wo sich mehrere Schatten ganz nach Dienstvorschrift an ihren alkoholfreien Getränken festhielten. Erykah schritt, ohne ihren am Boden liegenden Mantel und ihre zumindest geistig zu Boden gegangenen Bewunderer eines Blickes zu würdigen, zur Sitzecke vor dem Tresen, wo sich Butterfly, Tina und die anderen versammelt hatten. Katya wollte kopfschüttelnd den Mantel aufheben, doch einer der Jungs von der Bar kam ihr mit langen Schritten und gierigen Fingern zuvor, nahm ihn an sich und presste seine Nase hinein, als wäre er ein Erstickender, dem man soeben die Sauerstoffmaske gereicht hatte.
    »Der Ärmste, hoffentlich hat Erykah kein Messer dabei«, flüsterte Katya mir grinsend zu. Ich entdeckte Pete in einer Ecke mit Schmelzer und ging auf die beiden zu. Ich küsste Schmelzer auf beide Wangen und schenkte Pete, der meine Hand kurz drückte, einen tiefen Blick. Wir vermieden es, unsere Beziehung zur Schau zu stellen. Es wussten eh schon zu viele Leute davon.
    Katya gesellte sich zu den anderen Frauen auf den Warp-Sesseln. Den nächsten bemerkenswerten Auftritt hatte sich Ann gesichert. Wie immer in Springerstiefeln, vernarbter Lederhose, einem löchrigen T-Shirt und drei Kilo Make-up im Gesicht, welches heute Abend zusätzlich noch von langen, aufgemalten Schnurrhaaren geziert wurde, kam Ann die Treppe heruntergepoltert. Selbstbewusst trat sie auf ihre Kolleginnen zu, fiepte zweimal, wirbelte mit großem Schwung das lange Seil, das ihr hinten aus der Hose hing, nahm es in die Hand und ließ sich in einen Sessel fallen. Die anderen blickten sie entgeistert an.
    »Was glotzt ihr so blöde?«, lachte Ann. »Schon klar, das ist kein Kostümfest. Aber weil wir unter uns sind, dachte ich, können wir ruhig einmal unser wahres Gesicht zeigen.«
    Butterfly reagierte genervt: »Was soll der Blödsinn?«
    »Die aus Asien stammende Ratte, die sich aufgrund ihrer enormen Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit schon vor Urzeiten über die ganze Welt ausbreitete, kann in zwei Gruppen eingeteilt werden: die Haus- oder Dachratte und die Wanderratte. Bei unserer eingeschränkten Bewegungsfreiheit gehören wir wohl kaum zu letzterer Gruppe. Die Haus- oder Dachratte wird 22–30 cm lang und kann hervorragend springen und klettern. Ihr Schwanz ist noch länger als ihr Körper. Da ich ganze 1,70 m groß bin, entschied ich mich für einen 1,80 m langen Schwanz. Hast du damit Probleme, Butterfly?«
    »Du bist und bleibst eine dämliche Punkschnepfe«, spuckte Butterfly aus.
    »Und du ein zu selten gefickter Fettfleck«, giftete Ann zurück.
    Katya ging dazwischen: »Scheint ein gemütlicher Abend zu werden. Ich finde übrigens, dass dir die Schnurrhaare gut stehen, Ann. Dir deine auch, Butterfly.« Damit hatte Katya die Lacher auf ihrer Seite und Butterfly, deren natürlicher Oberlippenflaum nicht zu leugnen war, in ihre Schranken verwiesen.
    Captain Kirk bat uns freundlich ins Casino. Dort war ein kleines, aber feines Büfett aufgebaut, die Bar noch besser bestückt als in der Lobby, und aus vier Lautsprechern ertönten leise Sphärenklänge. Von der Decke hingen Planeten, glitzernd wie Discokugeln, jede Menge Sterne und kleine Raumschiffflotten.
    Eine Stunde nach dem Essen begann das Stimmungsbarometer langsam, aber sicher nach oben zu klettern. Ich saß mit Pete und Schmelzer in

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