Animus
auch davon ausgehen, dass eine Routinedurchsuchung ins Haus steht. Wenn die ein fremdes Handy finden, gibt’s Ärger. Das hatten wir schon mal, ganz am Anfang unserer Freistellung. Hat uns drei Monate Rund-um-die-Uhr-Observierung eingebracht. Das kannst du vergessen. Die finden alles. Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
»Mist. Ich würde mich gerne so schnell wie möglich mit Pete treffen. Hat er schon eine Idee, wie wir Ev verschwinden lassen können?«
Katya schaute mich an. Das war der Moment, den ich nutzen musste. »Ich bezweifele stark, dass er überhaupt darüber nachdenkt. Es sind ein paar Dinge am Laufen, die Priorität haben und die jede Aktion bezüglich Ev mehr als brenzlig erscheinen lassen.«
»Was meinst du damit?«, fragte Marc irritiert.
»Pete hat das Thema Evelyn nach hinten geschoben. Er will, dass Ev erst einmal ins Lager zurückgeht und Normalität einkehrt. Zurzeit sind alle Geheimdienste voll auf dem Posten. Walcott schnüffelt herum. Und wer uns beobachtet hat, ist auch noch unklar. Unter diesen Bedingungen hält Pete es für unverantwortlich, irgendeine Aktion zu starten.«
»Aber wenn Ev wieder im Lager ist … Pete hat selbst gesagt, sie dort rauszuholen wäre so gut wie unmöglich!« Marc war verzweifelt und bitter enttäuscht.
Genau in der richtigen Verfassung für meinen Vorstoß. »Du fragst überhaupt nicht, wieso die Situation im Moment so brandheiß ist und woran Pete arbeitet.«
»Ich will nicht den Eindruck erwecken, euch über Staatsgeheimnisse auszuquetschen.«
»Marc, ich muss dir jetzt eine sehr ernsthafte Frage stellen«, begann ich erneut. »Und ich hätte gerne eine ebenso ernsthafte und ehrliche Antwort.«
Marc zog überrascht die Augenbrauen nach oben und wartete ab.
»Ich weiß, dass deine Loyalität Pete gegenüber sehr groß ist. Aber wenn wir einen Plan hätten, Ev noch diesen Monat aus der Rattenfalle rauszuholen, allerdings ohne Pete einzuweihen, was würdest du tun?«
Marc sog tief Luft ein. »Warum wollt ihr Pete übergehen? Gerade du, Lucy?«
Katya schaute Marc fest in die Augen. »Zwei Gründe: Wir fürchten, dass Pete mit der Arbeit an einem neuen Programm beschäftigt ist, das wir mit aller Macht verhindern wollen. Der zweite Grund wäre die größtmögliche Glaubwürdigkeit Petes.«
»Was soll ich denn darunter verstehen?«, fragte Marc. Misstrauen und Verwirrung lagen in seinem Blick.
»Ganz einfach«, erklärte Katya. »Wenn bei unserem Plan etwas schiefgeht, ist es für Pete besser, keine Ahnung von allem zu haben. Nur dann wirkt er in Verhören überzeugend. Nichtwissen ist notwendige Bedingung für die größtmögliche Glaubwürdigkeit.«
Marc stand auf, drehte uns den Rücken zu und schaute aus dem Fenster. Draußen ging alles seinen normalen Gang. Autos fuhren vorbei, am Fußgängerüberweg versammelten sich Menschen, die bei Grün die Fahrbahn überquerten, ohne sich gegenseitig anzuschauen. Katya und ich warteten. Nach etwa einer Minute setzte Marc sich wieder zu uns, beugte sich nach vorne, stützte die Ellbogen auf seine Knie und faltete die Hände.
»Was ist das für ein Programm, das ihr verhindern wollt? Hat es etwas mit den Ratten zu tun? Hat es Auswirkungen auf Ev?«
»Indirekt«, antwortete ich. »Es geht um neue Antiterrormaßnahmen. Um Maßnahmen, die einen dermaßen faschistoiden Charakter haben, dass man in nächster Zukunft hier Zustände wie im ›Dritten Reich‹ befürchten muss.«
Ich setzte Marc über die geplante Vorgehensweise des Präsidenten in Kenntnis. Ich erzählte ihm, wie ich per Zufall auf das Geheimpapier in Petes Computer gestoßen war. Ich erzählte ihm alles, was ich noch im Gedächtnis hatte und fügte hinzu, dass das geheime Politikertreffen geplant sei, um für diese Maßnahmen Verbündete zu finden.
»Damit kommen sie nicht durch. Das ist unmöglich«, wandte Marc entsetzt ein.
»Du hast keine Ahnung, Marc«, widersprach Katya, »Was glaubst du, was in diesem Land alles läuft, wovon die Bevölkerung keine Ahnung hat? Wir sind das beste Beispiel. Außerdem: Scheiß auf die Bevölkerung! Die interessiert das doch gar nicht. Wie es dazu kommt, dass keine Züge mehr in die Luft gejagt werden, ist denen schnuppe. Genauso wie ihnen schnuppe ist, warum die Züge in die Luft gejagt werden. Du glaubst an das Vorhandensein von politischem Bewusstsein bei der breiten Masse? Okay, einige retten den Wald, andere die Wale. Wunderbar! Aber die meisten wollen ihre Ruhe.«
Ich gab Katya recht. »Selbst wenn
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