Anita Blake 02 - Bllutroter Mond
»Die Strafe dafür ist der Tod«, sagte ich. »Von Ihrer Hand.« »Wenn man es in diesem Staat tut, ja.« »Das sind nur Huren, Zuhälter, Betrüger. Was können Sie Ihnen bedeuten, Anita?«
Ich glaube nicht, dass er mich je zweimal hintereinander Anita genannt hatte. Es war ein schlechtes Zeichen. Weniger als einen Block vom Grey Cat Club entfernt fuhr ein Wagen weg. Was für ein Glück. Ich lenkte den Nova in die Lücke. Seitliches Einparken war nicht meine Stärke, aber glücklicherweise war der Wagen vor mir doppelt so groß gewesen wie meiner. Es war genug Platz zum Manövrieren. Als der Wagen halb auf der Gehsteigkante schlingerte, aber aus dem Verkehrsfluss heraus war, stellte ich den Motor ab. Jean-Claude lehnte sich zurück und sah mich an. »Ich habe Ihnen eine Frage gestellt, ma petite. Was bedeuten Ihnen diese Leute?«
Ich löste meinen Gurt und drehte mich zu ihm hin. Das Spiel von Licht und Schatten hatte ihn fast ganz ins Dunkel getaucht. Ein Band aus goldenem Licht streifte sein Gesicht. Bei seiner Blässe waren die hohen Wangenknochen sehr markant. Die Spitzen seiner Reißzähne zeigten sich zwischen den Lippen. Seine Augen leuchteten neonblau. Ich wandte mich ab und fixierte beim Reden das Lenkrad.
»Ich bin an den Leuten nicht persönlich interessiert, Jean-Claude, aber es sind Menschen. Ob gut, böse oder mittelmäßig, sie leben, und niemand hat das Recht, sie einfach willkürlich zu vernichten.«
»Also ist es die Heiligkeit des Lebens, an der Sie festhalten?«
Ich nickte. »Das und die Tatsache, dass jeder Mensch einmalig ist. Jeder Tod ist der Verlust von etwas Kostbarem und Unersetzlichem.« Am Schluss dieses Satzes sah ich ihn an.
»Sie haben schon Menschen getötet, Anita. Sie haben jemand Unersetzliches vernichtet.« »Auch ich bin unersetzlich«, sagte ich. »Es hat auch niemand das Recht, mich zu töten.«
Er richtete sich auf, und die Wirklichkeit schien sich um ihn zu verdichten. Fast spürte ich den Fluss der Zeit im Wagen wie einen Überschallknall im Kopf anstatt im Ohr.
Jean-Claude saß da und sah vollkommen menschlich aus. Seine bleiche Haut hatte eine gewisse Röte. Sein lockiges schwarzes, so sorgfältig gekämmtes Haar war prächtig und lebendig. Seine Augen waren einfach nur mitternachtsblau, außer der Farbe war nichts Ungewöhnliches daran. Er war wieder ein Mensch, für einen kurzen Augenblick.
»Himmel«, flüsterte ich. »Was ist, ma petite?« Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich ihn fragte, wie er das machte, würde er nur lächeln. »Wozu all diese Fragen, Jean-Claude? Warum dieses Interesse an meiner Lebenseinstellung?«
»Sie sind mein menschlicher Diener.« Er hob die Hand, um meinen automatischen Einwand abzuschneiden. »Ich habe den Vorgang, mit dem Sie mein Diener werden, begonnen und würde Sie gern besser verstehen.«
»Können Sie nicht ... meine Gefühle spüren, wie Sie die Leute auf der Straße spüren?« »Nein, ma petite. Ich kann Ihr Verlangen spüren, aber sonst kaum etwas. Das habe ich aufgegeben, als ich Sie mit meinen Zeichen versah.« »Sie können nicht meine Gedanken lesen?«
»Nein.«
Das war wirklich schön zu wissen. Er hätte es mir nicht zu verraten brauchen. Warum tat er es also? Er gab niemals etwas umsonst. Hier waren Fäden gespannt, die ich nicht sehen konnte. Ich schüttelte den Kopf. »Sie sollen mir heute Nacht nur Rückendeckung geben. Tun Sie keinem etwas, es sei denn, ich sage es Ihnen, in Ordnung?«
»Keinem etwas tun?« »Schaden Sie niemanden, es sei denn, man will uns schaden.«
Er nickte mit sehr ernster Miene. Warum hatte ich den Verdacht, dass er in seinem dunklen Innern über mich lachte? Dem Meister der Stadt Befehle erteilen. Ich nehme an, das war komisch.
Der Lärmpegel auf dem Bürgersteig war enorm. Aus jedem Gebäude plärrte Musik. Überall eine andere, aber immer laut. Die aufleuchtende Reklame versprach »Girls, Girls, Girls. Oben ohne.« Auf einem rosa umrandeten Schild stand: »Sprechen Sie mit der nackten Frau Ihrer Träume.« Igitt.
Eine große schlanke Schwarze kam uns entgegen. Sie trug violette Shorts, die hinten so kurz waren, dass sie fast den Tanga ersetzten. Eine schwarze Netzstrumpfhose bedeckte Hinterteil und Beine. Aufreizend.
Zwischen uns blieb sie stehen. Sie schaute von einem zum anderen. »Wer von euch macht es, und wer guckt zu?« Jean-Claude und ich wechselten einen Blick. Er lächelte sehr sanft.
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