Anita Blake 05 - Bleich Stille
»Meinetwegen brauchen Sie nicht zu gehen«, sagte Jason. Er drehte sich auf einen Ellbogen. Das Seidenlaken rutschte ihm von der Hüfte.
Dorcas Bouvier drehte sich auf dem Absatz um und marschierte aus dem Zimmer. Ich schloss die Tür vor Jasons Gelächter. Dorcas sah erschüttert, sogar peinlich berührt aus. Gut zu sehen. Auch ich war verlegen, wusste aber nicht, was ich dagegen tun sollte. Sich aus solchen Situationen herausreden zu wollen klappt nie. Die Leute sind immer bereit, das Schlechteste zu glauben. Darum versuchte ich es gar nicht. Ich stand nur da und blickte sie an. Sie wollte mich nicht ansehen.
Nach einem hübsch unangenehmen Schweigen, das ihr die Hitze ins Gesicht trieb, sagte sie: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich dachte, dass mein Bruder hier ist. Ich ...« Schließlich sah sie mich doch an. Sie gewann allmählich die Fassung wieder, eine zweckgerichtete Sicherheit. Man konnte zusehen, wie es sich in ihrem Blick verfestigte. Sie war nicht nur hier, um ihren Bruder aus meinem Bett zu zerren.
»Wie kamen Sie bloß auf die Idee, dass er hier sein könnte?« »Darf ich mich setzen?«
Ich bot ihr einen Sessel an. Sie suchte sich einen aus, setzte sich kerzengerade hinein, makellose Haltung. Meine Stiefmutter Judith wäre stolz gewesen. Ich lehnte mich gegen die Sofalehne, weil ich mich mit der Browning im Hosenbund nicht setzen konnte. Ich konnte nicht einschätzen, wie sie es aufnehmen würde, dass ich bewaffnet war, darum wollte ich sie die Waffe nicht sehen lassen. Manche Leute werden eisig in Gegenwart einer Waffe. Man stelle sich das vor.
»Ich weiß, dass Magnus letzten Abend mit Ihnen zusammen gewesen ist.« »Mit mir?« »Ich meine nicht ...« Die Hitze kroch ihr wieder übers Gesicht. »Ich meine, nicht richtig zusammen. Ich meine, Sie haben ihn gesehen.« »Hat er Ihnen das erzählt?«
Sie schüttelte den Kopf, dass die Haare wie ein Pelz über ihre Schultern glitten. Sie war Magnus auf unheimliche Weise ähnlich. »Ich habe Sie beide gesehen.«
Ich musterte ihr Gesicht, versuchte, es an der Verlegenheit vorbei zu enträtseln. »Sie sind nicht dort gewesen.« Wo?«, fragte sie. Ich sah sie stirnrunzelnd an. »Wie haben Sie uns gesehen?«
»Dann geben Sie zu, dass Sie sich getroffen haben«, sagte sie. Ihre Ungeduld kam plötzlich wieder angebraust. »Ich will wissen, wie Sie uns zusammen gesehen haben.« Sie holte tief Luft. »Das ist meine Sache.«
»Magnus hat gesagt, dass der Seherblick seiner Schwester besser ist als seiner. Stimmt das?« »Was hat er Ihnen eigentlich nicht erzählt?«, erwiderte sie. Sie war wieder zornig. Ihre diversen Gefühle kollidierten und kamen in Gesicht und Stimme ins Trudeln.
»Er hat mir nicht erzählt, warum er vor der Polizei weggerannt ist.« Sie blickte auf ihre Hände, die gefaltet im Schoß lagen. »Ich weiß nicht, warum er das getan hat. Er hatte gar keinen Grund.« Sie blickte mich an. »Ich weiß, dass er diese Kinder nicht umgebracht hat.«
»Der Meinung bin ich auch«, sagte ich. Sie machte ein überraschtes Gesicht. »Ich dachte, sie hätten der Polizei gesagt, dass er es war.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nur gesagt, er kann es getan haben. Ich habe nie behauptet, dass er es getan hat.«
»Aber ... Die Polizistin klang so überzeugt. Sie sagte, sie hat es von Ihnen.«
Ich fluchte in mich hinein. »Detective Freemont?« »Ja.«»Glauben Sie nicht alles, was sie sagt, besonders nicht über mich. Sie scheint mich nicht sehr gut leiden zu können.«
»Wenn Sie es nicht behauptet haben, wieso ist die Polizei so sicher, dass Magnus diese schrecklichen Morde Den hat? Er hätte doch gar keinen Grund gehabt, diese Menschen umzubringen.«
Ich zuckte die Achseln. »Magnus wird nicht mehr wegen Mordes gesucht. Hat Ihnen das keiner gesagt?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Sie meinen, er kann wieder nach Hause kommen?«
Ich seufzte. »So einfach ist das nicht. Magnus hat seinen Glamour gegen die Polizei eingesetzt, um zu fliehen. Das ist schon für sich genommen ein Verbrechen. Die Polizei wird sofort auf ihn schießen, Ms Bouvier. Wenn Magie im Spiel ist, fackeln sie nicht lange. Ich kann's ihnen nicht verübeln.«
»Ich habe Sie mit meinem Bruder gesehen, wie Sie sich unter freiem Himmel unterhalten haben.« »Ich habe ihn gestern Abend tatsächlich gesehen.« »Haben Sie das der Polizei erzählt?« »Nein.«
Sie sah mich groß an.
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