Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
eindrucksvoller Abglanz seines Meisters, als dass sie ihn neben sich dulden konnte, außer sie wäre dieser Meister. Meistervampire neigen dazu, entweder zu vernichten oder zu besitzen, was große Kräfte hat.
Der Oberpriester war in seinem Leben machtvoll gewesen, ein charismatischer Führer. Inzwischen hatten jahrhundertelange Übung das Charisma in eine Art Zauber verwandelt. Ich kannte ausgewachsene Vampire, die nicht so viel Wirkung auf mich hatten. Wenn er bloß der Diener war, wie war dann erst der Meister? Ich saß da an dem Steintisch und rollte die Schultern, um das Holster zu spüren. Ich war froh, einen Zusatzclip Munition eingesteckt zu haben. Ich drehte die Handgelenke, um die Messer auf der Haut zu fühlen. Ich war sehr froh über die Messer. Man kann einen Vampir stechen, ohne ihn zu vernichten, und sich trotzdem durchsetzen.
Endlich war ich imstande, die Wirkung seiner Stimme von den Worten zu trennen. Die meisten Vampire machen Tricks mit ihrer Stimme. Dabei sind die Worte der Schlüssel. Sie sagen »schön«, und man sieht Schönheit. Sie sagen »Angst«, und man bekommt Angst. Doch die Wirkung seiner Stimme hatte mit dem Gesagten nichts zu tun. Sie hatte nur eine überwältigende Machtaura, die davon unabhängig war, wie starkes Hintergrundrauschen. Die Zuhörer dachten vielleicht, sie lauschten gebannt auf jedes Wort, doch er hätte genauso gut eine Einkaufsliste vorlesen können, mit demselben Effekt.
Er sagte: »Sie haben ihn als den Gott Tezcathpoca bei unserem Eröffnungstanz gesehen. Nun kommt er zu Ihnen als Mensch.« Währenddessen wurde das Licht gedämpft, bis er fast im Dunkeln stand, man sah nur noch seine Federn schillern, wenn er sich bewegte. Auf der anderen Seite der Bühne ging ein Scheinwerfer an und enthüllte einen Mann mit blasser Haut, die im Licht leuchtete, von den Füßen bis zu den Schultern. Er stand mit dem Rücken zum Publikum, und einen Moment lang dachte ich, er sei nackt. Nichts unterbrach die Linien seines Körpers von der Schwellung der Waden zu den Oberschenkeln über die runden Pobacken, die schmale Taille bis zu den breiten Schultern. Seine Haare wirkten in der Beleuchtung schwarz und waren so kurz wie ein Dreitagebart. Er drehte sich langsam herum und zeigte sich im knappen, hautfarbenen Stringtanga, der die Illusion von Nacktheit erzeugte.
Sein Gesicht war schmucklos wie ein Stern und von ebenmäßiger Schönheit. Er wirkte rein und makellos, was unmöglich war. Kein Mensch war makellos. Aber er war schön. Eine feine Linie schwarzer Haare verlief von der Brustmitte über den Bauch und verschwand in dem Tanga. Unser Tisch stand so nah und seine Haut war so blass, dass ich sogar die feinen Haare um die Brustwarzen erkennen konnte, die sich bis zu jener Haarlinie fortsetzten.
Ich musste den Kopf schütteln, um diese Gedanken loszuwerden. Vielleicht lag es an meiner Enthaltsamkeit oder es lag mehr Magie in der Luft als nur die Macht des menschlichen Dieners.
Ich sah wieder auf die Bühne und wusste, es war nur ein Lichteffekt, der seine Haut so leuchtend machte. Ich warf einen Blick zu Dallas. Sie hatte sich dicht zu Edward gebeugt und unterhielt sich flüsternd. Wenn sie die Show jeden Abend erlebte, war das alles nichts Neues für sie, doch dass sie den Mann auf der Bühne so wenig beachtete, ließ mich den Kopf drehen und zu den dunklen Nachbartischen spähen. Viele, besonders die Frauen, starrten hingerissen nach vorn. Aber nicht alle. Einige tranken, hielten Händchen und taten andere Dinge. Ich wandte mich wieder der Bühne zu und schaute, saugte die Linien seines Körpers in mich auf. Verdammt, es lag an mir. Eigentlich eine normale menschliche Reaktion auf einen fast nackten, attraktiven Mann. Aber ein Zauber wäre mir lieber gewesen. Dann wäre wenigstens ein anderer schuld. Meine Hormone, meine Schuld. Ich brauchte mehr Hobbys, das war es, mehr Hobbys. Das war die Lösung.
Langsam wurde das Licht aufgedreht, bis der Priester wieder zu sehen war. » Es war Tradition, dass zwanzig Tage vor der großen Zeremonie Bräute für ihn ausgewählt wurden.« Kurz sah ich Fell aufblitzen, und glaubte für einen Moment, es seien Gestaltwandler halb in Menschen-, halb in Tiergestalt. Doch es waren Menschen im Leopardenfell. Das Fell hing nicht locker wie eine Decke an ihnen herab, sondern lag an, als wären sie darin eingenäht. Einige waren zu groß für das Fell, sodass die Füße oder ein Stück Bein oder Arm unter der
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