Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
... zu große Kräfte hatte.« »Scheiße.«
»Ich fühle mich verdammt gut«, sagte Verne und berührte seine Bisswunde. »Ich habe mich noch nie von einem Vampir beißen lassen. Wenn das so toll ist, habe ich vielleicht was verpasst.«
»Es ist toll«, sagte Nathaniel. »Es kann noch viel toller sein.« »Das waren keine reinen Vampirkräfte«, erklärte Richard, »sondern Vernes, meine, Anitas und Jean-Claudes.«
»Ein höllischer Cocktail«, kicherte ich. Ich lag auf dem Boden, hielt mir die Hände vors Gesicht und wehrte mich gegen den Drang, mich im Nachhall des Genusses zu wälzen. Am liebsten hätte ich mich darin eingehüllt. Und am anderen Ende dieser nachglühenden Wärme spürte ich Dunkelheit. Ich spürte Jean-Claude wie ein schwarzes Loch, das unsere Wärme, unser Leben in sich aufsaugte. Und in diesem Moment begriff ich zwei Dinge: Er hatte genau gespürt, als Richard und ich miteinander schliefen. Und jetzt verzehrte er unsere Lebendigkeit, und wir nahmen seine Finsternis in uns auf. Wir tranken diesen stillen, kalten Tod so sicher, wie er die sonnenwarme Haut unseres Körpers kostete. Und wir alle zogen daraus Macht. Das Licht und die Dunkelheit. Die Kälte und die Wärme. Leben und Tod. Wenn die Zeichen uns zueinanderzogen, verwischte sich die Grenze zwischen Leben und Tod. Ich spürte Jean-Claudes Herzschlag früher erwachen, als es in über vierhundert Jahren der Fall gewesen war. Und ich spürte seine Freude darüber. In diesem Augenblick hasste ich ihn.
31
Zwei Stunden später stapfte ich mit Richard und Shang-Da durch den Wald auf der Suche nach Trollen und Biologen. Wir hatten noch bis zum Dunkelwerden Zeit zur Abreise, und da wir die Stadt gar nicht wirklich verlassen würden, konnten wir genauso gut jetzt schon unserem ursprünglichen Plan folgen. Alle anderen hatten wir zurückgelassen, damit sie fleißig wie die Ameisen packten, packten, packten. Wir würden packen und abreisen. Wir sollten sogar den Sheriff anrufen, sobald wir fertig waren. Wilkes hatte uns freundlich angeboten, uns aus der Stadt zu eskortieren - vor Sonnenuntergang. Nach Einbruch der Dunkelheit lautete sein Angebot auf eine Kugel und ein verstecktes Erdloch.
Ich lief hinter Richard her, der sich zwischen den Bäumen hindurchbewegte, als ob sie ihm Platz machten. Ich wusste, dass das nicht der Fall war. Wenn so große übernatürliche Kräfte am Werk wären, hätte ich das gespürt. Aber Richard ließ es so mühelos erscheinen. Es lag nicht einmal daran, dass er ein Werwolf war. Er war einfach der Naturtyp. Seine Wanderschuhe waren ziemlich abgewetzt. Auf seinem blaugrünen T-Shirt schwamm hinten und vorne eine Seekuh. Ich hatte das gleiche zu Hause, ein Geschenk von ihm. Er war enttäuscht gewesen, dass ich es nicht mitgebracht hatte. Aber selbst wenn, hätte ich es nicht angezogen. Ich stand nicht allzu sehr auf Partnerlook. Außerdem war ich unterschwellig noch sauer auf ihn. Es war nicht in Ordnung, dass ich als Einzige nicht gewusst hatte, welche Folgen es für ihn und mich haben würde, wenn wir miteinander schliefen. Sie hätten mir sagen müssen, dass uns das alle noch enger aneinanderband.
Natürlich war es schwer, wütend auf ihn zu sein, wenn sein T-Shirt an ihm klebte wie eine zweite Haut. Die Haare hatte er sich nach hinten gebunden. Jedes Mal wenn er durch einen Streifen Sonnenlicht lief, sah ich darin kupferne und goldene Strähnen leuchten. Dann war mit meinem Ärger nicht mehr viel los.
Richard lief geschmeidig voraus. Ich folgte in meinen Nikes und machte es ganz gut. Ich komme im Wald gut zurecht. Nicht so gut wie Richard, aber auch nicht schlecht.
Shang-Da zum Beispiel war kein Waldläufer. Er bewegte sich beinahe zimperlich, als hätte er Angst, in irgendetwas reinzutreten. Er blieb mit seiner schwarzen Hose und dem frischen weißen Hemd ständig irgendwo hängen, wo Richard und ich ungehindert durchkamen. Er hatte diese Reise in schwarzen, blank polierten Schuhen angetreten, aber inzwischen sahen sie nicht mehr so aus. Solche Schuhe sind nichts für Waldspaziergänge. Er war ein echter Städter, bei dem keine noch so große körperliche Gewandtheit die mangelnde Naturkenntnis aus-gleichen konnte.
Es ging ein leichter Wind. Die Bäume rauschten ab und zu, ein Geräusch der Kühle in den Wipfeln, aber nie am Boden. Wir liefen durch eine Welt aus grüner Hitze und braunen Stämmen. Auf den Blättern glänzte das Sonnenlicht und fiel in gelben
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