Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
winken, wenn ich zurückblickte? Ich blickte nicht zurück. Ich liebte ihn. Er liebte mich. Das wusste ich ganz sicher. Was ich nicht sicher wusste, war, ob diese Liebe ausreichen würde. Wenn er mit anderen Frauen schlief, wahrscheinlich nicht. Ob fair oder nicht, ich würde das nicht überleben.
Richard behauptete, er habe mich nicht gebeten, Jean-Claude aufzugeben. Hatte er nicht. Aber solange ich das Bett mit Jean-Claude teilte, würde Richard mit anderen Frauen schlafen. Solange ich nicht treu war, würde er es auch nicht sein. Er hatte mich nicht gebeten, Jean-Claude aufzugeben, aber er sorgte dafür, dass ich in keinem Bett glücklich war. Ich konnte sie beide haben, aber nicht Richards Treue. Die konnte ich nur haben, wenn ich Jean-Claude aufgab. Ich war nicht bereit, ein zweites Mal zu wählen, und nicht imstande, mit der ersten Entscheidung zu leben. Wenn sich keine dritte Möglichkeit auftat, steckten wir in Schwierigkeiten.
32
D er Fundort lag mitten im Wald, acht Kilometer von der nächsten Straße entfernt. Die ließe sich aber nur mit einem Geländewagen befahren, meinte Dr. Onslow. Eine großartige Gegend für Trolle, aber nicht für eine polizeiliche Ermittlung. Sie würden jedes bisschen zu Fuß anschleppen und am Ende die Leichen zu Fuß wegtragen müssen. Unangenehm und langwierig.
Ein Gutes hatte das allerdings: Es gab keine Gaffer. Ich war schon zu vielen Leichen gerufen worden, und die einzigen ohne Zuschauer lagen entweder mitten im Nirgendwo oder waren zu sehr unpraktischer Uhrzeit gefunden worden. Wenn es die Leute nicht weit hatten, schreckte auch die unpraktische Uhrzeit niemanden ab. Die Leute kletterten selbst am frühen Morgen aus dem Bett, nur um eine Leiche zu sehen.
Aber auch ohne Gaffer waren reichlich Leute da. Ich erspähte Wilkes Streifenpolizisten und einen seiner Hilfssheriffs. Ich freute mich schon riesig darauf, sie alle wiederzusehen. Es wimmelte von Staatspolizei, darunter einige Ermittler in Zivil. Dass das Polizisten waren, wusste ich auch, ohne dass sie mir jemand vorstellte. Sie liefen mit Einmalhandschuhen herum und gingen vorsichtig in die Hocke, statt sich auf verwertbare Spuren zu knien.
Um den ganzen Platz war ein gelbes Band gewickelt wie um einen Geschenkkarton. An dieser Seite stand kein einziger Polizist, weil jeder meinte, Besucher könnten nur aus der Richtung kommen, wo die Straße lag. Ich hatte die Browning, die Firestar und das Messer in der Nackenscheide bei mir, also zückte ich meine Lizenz und hielt sie hoch, als ich mich unter dem Band hindurchduckte. Irgendwann würde mich jemand sehen, der dann einen Streifenpolizisten anschreien würde, warum er mich ungehindert durch die Absperrung gelassen hatte.
Ich war noch nicht weit den Hang hinabgestiegen, als mich einer entdeckte. Sie hatten weiträumig abgesperrt, und er hatte beim oberen Rand gestanden. Er hatte braune Haare und dunkle Augen und Sommersprossen auf den blassen Wangen. Er kam mit ausgestrecktem Arm auf mich zu. »Entschuldigung, Miss, aber Sie dürfen hier nicht rein.«
Ich schwenkte die Lizenz. »Ich bin Anita Blake. Ich habe gehört, dass Sie nach mir suchen. Wegen einer Leiche, auf die ich einen kurzen Blick werfen soll.«
»Einen kurzen Blick«, widerholte er. »Sie wollen einen kurzen Blick auf die Leiche werfen.« Er sagte es sanft, nicht spöttisch. Einen Moment lang starrte er an mir vorbei, dann schien er sich zu besinnen, wo er war. Er streckte die Hand nach meiner Lizenz aus.
Er nahm sie, sah sie an, las sie zweimal und gab sie mir zurück. Er blickte den Hang hinunter zu der Schar Leute. »Der kleine Blonde im schwarzen Anzug, das ist Captain Henderson. Er leitet die Ermittlung.«
Ich sah ihn groß an. Er hätte mich eigentlich zu dem Mann hinbringen müssen. Da er mich nicht kannte, durfte er mich nicht allein über das Gelände laufen lassen. Vampirhenker sind keine Kollegen, auch wenn sie ab und zu mit der Polizei zusammenarbeiten. Es gibt nur sehr wenige wie mich, die mit der Polizei auf vertrautem Fuß stehen. In St. Louis, wo mich die meisten Polizisten vom Sehen oder dem Namen nach kannte, hätte ich das Verhalten verstanden, aber hier nicht.
Ich las sein Namensschild. »Michaels, richtig?«
Er nickte, und wieder sah er mich nicht an. Er benahm sich nicht wie ein Polizist. Er kam mir ängstlich vor. Polizisten lassen sich nicht so leicht Angst einjagen. Und wenn sie ein paar Dienstjahre hinter sich
Weitere Kostenlose Bücher