Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
kann.«
Er stand da und behielt die Hände, wo ich sie sehen konnte. »Du warst auf uns nicht vorbereitet, ich verstehe.«
Das bezweifelte ich, aber es war höflich, das zu sagen. Ich war noch keinem Gestaltwandler begegnet, für den es problematisch war, mit anderen nackt übereinanderzuschlafen wie ein Wurf Welpen. Allerdings war ich noch keinem frisch gebackenen Wertier begegnet. Sicher gab es eine ansteigende Lernkurve für dieses Verhalten.
Mein linker Arm zuckte so übel, dass ich die rechte Hand aus der Tasche zog, um die unwillkürlichen Bewegungen zu unterdrücken.
»Du hast Schmerzen.«
Jede Zuckung schickte einen stechenden Schmerz durch den Arm. »Das ist so, wenn man von Krallen aufgerissen wurde.«
»Ich kann sie lindern.«
Ich verdrehte die Augen. »Das sagst du bestimmt zu allen Frauen.«
Er wirkte nicht mal verlegen. »Ich sagte doch, ich bin ein Nimir-Raj. Ich kann Fleisch beschwören.«
Ich muss ein ziemlich verständnisloses Gesicht gemacht haben. »Ich kann durch Berührung Wunden heilen«, erklärte er.
Ich starrte ihn an.
»Wie kann ich dich überzeugen, dass ich die Wahrheit sage?«, fragte er.
»Vielleicht wenn jemand, den ich kenne, für dich bürgt.«
»Das ist leicht getan«, sagte er, und einen Augenblick später ging die Tür auf.
Noch ein Fremder. Der Mann war einsachtzig groß, breitschultrig, kräftig und überall wohl proportioniert, wie man genau sah, denn er war ebenfalls nackt. Wenigstens war er nicht erigiert. Wie wohltuend. Er war blass, der Erste der Neuen ohne Sonnenbräune, und hatte schulterlanges weißes Haar mit grauen Strähnen, einen grauen Schnurrbart sowie ein Kinnbärtchen. Vermutlich war er über fünfzig, doch was ich von ihm sah, wirkte weder alt noch schwach. Er wirkte mehr wie ein alter Söldner, der einem das Herz rausschneidet, um es jemandem in einer Schachtel zu bringen, sofern die Kohle stimmt. Eine zackige Narbe zog sich senkrecht über Brust und Bauch, beschrieb einen fiesen Bogen um den Bauchnabel und verlief weiter bis zur Leiste. Die Narbe war weiß und sah schon älter aus. Entweder stammte sie aus seiner Zeit vor dem Lykanthropendasein oder - keine Ahnung. Gestaltwandler konnten auch Narben bekommen, aber das war selten; man musste schon etwas Grundfalsches mit einer Wunde anstellen, um solch eine üble Narbe zu hinterlassen.
»Ich kenne ihn nicht«, sagte ich.
»Anita Blake, das ist Merle.«
Erst danach nahm Merle von mir Notiz. Ganz kurz sah er mich aus hellgrauen Menschenaugen an, dann schwenkte sein Blick zu seinem Nimir-Raj zurück. Wie ein gehorsamer Hund, der Herrchens Gesicht nicht aus den Augen lassen will.
»Tag, Merle.«
Er nickte mir zu.
»Lass ihre Leute herein.«
Merle wechselte das Standbein, und ich wusste sofort, dass er sich sträubte. »Aber bestimmt nicht alle?«, fragte er.
Micah sah mich an.
»Warum nicht alle?«, fragte ich.
Merle wandte mir seinen hellgrauen Blick zu, und fast wäre ich zusammengezuckt. Er starrte, als könnte er mich von vorne bis hinten durchschauen. Mir war klar, das konnte nicht sein, aber sein Blick war eindrucksvoll. Es gelang mir, nicht zu zucken.
»Antworte ihr«, sagte Micah.
»Zu viele fremde Leute in einem zu kleinen Zimmer. Ich kann dann für Micahs Sicherheit nicht garantieren.«
»Dann bist du wohl sein Skoll«, sagte ich.
Er zog verächtlich die Lippen hoch. »Wir sind keine Wölfe. Wir gebrauchen nicht ihre Ausdrücke.«
»In Ordnung. Meines Wissens gibt es keinen entsprechenden Begriff bei den Leoparden. Du bist also Micahs oberster Leibwächter, richtig?«
Er starrte mich an, dann nickte er knapp.
»Gut. Siehst du meine Leute wirklich als Bedrohung an?«
»Es ist meine Pflicht, sie so zu sehen.«
Da hatte er recht. »Gut. Mit welcher Zahl könntest du dich anfreunden?«
Einen Moment lang wurde sein harter Blick unsicher. »Du wirst nicht mit mir diskutieren?«
»Warum sollte ich?«
»Das tun fast alle Alphas, um nicht schwach zu erscheinen«, sagte er.
Ich musste schmunzeln. »So unsicher bin ich nicht.«
Das brachte ihn zum Schmunzeln. »Ja, die Macht anhäufen, sind meistens unsicher.«
»Dem kann ich nur beipflichten.«
Er nickte mit nachdenklichem Gesicht. »Also zwei.«
»Einverstanden.«
»Welche beiden sind dir am liebsten?«
Ich zuckte die Achseln. »Cherry und noch
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