Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
Hinweis.«
Micah schüttelte den Kopf. »Bei dem nicht. Er wird uns nie in Ruhe lassen.« Er fasste meinen Arm. »Wenn du uns übernimmst, wirst du irgendwann selbst mit ihm zu tun bekommen.«
»Ist er kugelsicher?«, fragte ich.
Die Frage schien ihn zu verwirren. »Nein, ich meine, vermutlich nicht.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Dann ist das kein Problem.«
Er blickte mich an. »Wie meinst du das? Du wirst ihn einfach umbringen?«
»Spricht etwas dagegen?«
Er wollte lächeln, doch dann runzelte er die Stirn. »Ihn einfach so umbringen.« Er schien darüber nachzudenken, als wäre ihm die Idee nie gekommen.
Merle sagte: »Der ist nicht leicht umzubringen.«
»Sofern er nicht schneller ist als eine Silberkugel, Merle, ist niemand schwer umzubringen.«
Rafael kam langsam mit Claudia und Igor zu uns zurück. »Wir haben von deinen Leoparden bisher wenig gehalten. Aber was ich eben gesehen habe, macht mich neidisch.«
»Ich weiß, wie das bei den Wölfen läuft«, sagte ich. »Und ich weiß, dass sie keinen Familiensinn haben. Zuerst haben Raina und Marcus ihnen voreinander Angst gemacht, jetzt muss Richard ständig um seine Sicherheit kämpfen. Aber du und die deinen scheinen doch ganz gut klarzukommen. Der Unterschied zwischen euch und uns kann nicht so groß sein, oder?«
»Ich habe einmal von deiner Loyalität und deiner enormen Sturheit profitiert, habe aber erst heute Abend begriffen, dass du mich nicht gerettet hast, weil ich dein Freund war oder weil es das Richtige war. Du hast mich nicht aus der Folter befreit und dein Leben dabei riskiert wegen dieser Anständigkeit, die Richard so schätzt. Du hast mich befreit, weil du es nicht ertragen konntest, mich im Stich zu lassen.« Er fasste mir sanft an die Wange. »Nicht weil du einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hast, sondern weil du so mitfühlend bist.«
Ich sah ihn an. »Mir hat man schon vieles an den Kopf geworfen, aber das noch nicht.«
Er hob mein Kinn. »Das ist eine deiner besten Eigenschaften, du solltest sie nicht herunterspielen. Du liebst deine Leute wie eine Mutter ihre Kinder. Du willst das Beste für sie, selbst wenn das für dich unbequem ist. Du willst, dass sie glücklich sind, selbst wenn du mit ihren Entscheidungen nicht einverstanden bist.«
Ich konnte seinen bewundernden Blick nicht lange ertragen. Es war, als guckte er nicht mich, sondern jemand ganz anderen an. »Du bist bisher keine echte Nimir-Ra gewesen, aber heute Abend hast du uns alle beschämt. Nicht deine Intimität mit Micah wird Richard quälen, obwohl das auch mächtig wehtun wird, sondern das, was du bei deinen Leoparden erreicht hast und was wir uns alle für unsere Klans wünschen. Richard glaubt, das mit seiner aufrechten moralischen Haltung erreichen zu können.«
Ich sah ihn an. »In meinem Rudel herrscht keine Demokratie, und bei Entscheidungen habe ich nicht bloß so ein blödes Präsidentenveto.«
»Das weiß Richard, wahrscheinlich besser als jeder andere, und es wird ihn maßlos ärgern, Anita. Er wird an sich zweifeln.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er zweifelt sowieso ständig an sich, sobald es um seine Wölfe geht. Er wird sich ihrer nie sicher sein können, solange er sich seiner selbst nicht sicher ist.«
»Zuerst musste ich erkennen, dass du warmherzig bist, und jetzt sehe ich auch noch, wie viel du verstehst. Ich wusste immer, dass du machtvoll, rücksichtslos und hübsch bist, aber dass du Verstand und Herz hast, wird mich noch eine Weile wundern.«
»Hält mich eigentlich jeder bloß für einen Soziopathen, der zufällig magische Fähigkeiten hat?«
»Das ist es, was du den Leuten von dir zeigst«, sagte er, »bisher.« Er schaute in die Gesichter, die uns umringten. Ich sah einen gewissen Hunger in ihnen und wusste, sie hatten dasselbe gefühlt wie ich: echte Zusammengehörigkeit. Sie hatten das Gefühl von einem Zuhause gehabt, wo man sich anlächelt und umarmt. Einfach, aber selten.
Monatelang hatte ich mir Sorgen gemacht, ich könnte die Werleoparden enttäuschen. Und dabei hatte ich vor allem an körperliche Verletzungen und Tod gedacht. Jetzt wurde mir klar, dass die wahre Enttäuschung darin bestanden hätte, wenn sie mir gleichgültig gewesen wären. Eine Wunde kann man verbinden, einen Knochenbruch schienen, aber eine Verletzung durch Gleichgültigkeit ... die kann man nicht heilen. Von der erholt man sich nicht.
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